An St. Isaac, der neuen Schule von Frederic, geht etwas nicht mit rechten Dingen zu. Der Schuldirekter Bork Bruhns ist durch und durch unheimlich und die Schüler schreiben allesamt gute Noten, sind brav und folgsam – und furchtbar ideenlos. Frederic scheint es, als wäre er der einzige, der ab und zu im Unterricht vor sich hinträumt, zum Beispiel von wunderbaren Maschinen, die er in seinem Kopf erfindet. Dass tatsächlich etwas nicht stimmt in St. Isaac, erfährt Frederic erst, als seine alte Nachbarin ihm ein Fläschchen mit Vitamin A aufdrängt, damit er endlich „sehen“ kann. Und tatsächlich, nachdem Frederic die Flüssigkeit getrunken hat, sieht er auf einmal Sachen, die vorher nicht da waren und die niemand außer ihm wahrnehmen kann.
Plötzlich sieht Frederic überall Metaphern und damit auch, was hinter den Menschen steckt. Bork Bruhns hat einen viel zu dunklen Schatten und ein furchterregendes Gebiss, einer der Lehrer muss ein großes schwarzes Loch in seinem Bauch ständig mit Essen stopfen, der Lateinlehrer gibt nur Geblubber von sich wie ein Fisch und Frederics Vater trägt auf seiner Brust eine blutende Wunde, seit Frederics Mutter vor acht Jahren bei einem Unfall ums Leben kam.
Niemand außer Frederic scheint zu merken, dass etwas nicht stimmt, und niemand glaubt ihm, was er sieht – niemand außer Änna, die auch in seine Klasse geht. Gemeinsam finden die beiden heraus, dass Borks Bruhns einen schrecklichen Plan hat: Mit Hilfe einer Maschine stiehlt er den anderen Kinder im Schlaf alle Träume und füllt ihre Köpfe stattdessen mit Vanillepudding, so dass sie traum- und willenlos sind. Und Bruhns Pläne sind noch weitaus schlimmer. Was hat der Direktor mit den gefangenen Träumen vor?

„Die Nacht der gefangenen Träume“, erschienen 2008 bei Oetinger, ist ein spannendes und originelles Kinderbuch, das die Grenzen zwischen Realität und Traum verschwimmen lässt. Fantastisch und fantasievoll gleichermaßen bringt Antonia Michaelis ihre skurrilen Einfälle so in der Geschichte unter, dass auch die verrücktesten Sachen nie kindisch erscheinen, sondern immer genau richtig. Vor allem besitzt diese Erzählung wunderschöne Metaphern und Wortschöpfungen, die genau passen und die man so noch nie gelesen hat.

Kindern wird zum Einem die spannende Geschichte rund um die gefangenen Träume gefallen, zum Anderen aber natürlich der dreizehnjährige Frederic, der sich nicht einschüchtern lässt, der weiter träumt und das Geheimnis um Bruhns und seine Maschine auflösen will, obwohl er Angst hat und ganz allein da steht – denn niemand glaubt ihm, nicht einmal sein Vater.
Dabei schlägt das Buch immer wieder auch traurige und ernste Töne an und macht nie den Fehler, alles schön kindgerecht verpacken zu wollen. Albträume, fiese Schuldirektoren und tote Mütter sind eben kein Thema, das man mal eben so abschütteln kann. Die einzelnen Kapitel werden von einer kleinen Rahmenhandlung immer wieder unterbrochen; in ihr unterhält sich Frederic immer wieder mit dem namenlosen Autoren, der die Erlebnisse des Jungen als Buch aufschreibt (am Ende wird dann aber doch aufgelöst, wer der Autor ist, und das bringt die Geschichte zu einem tollen Abschluss). Diese kleinen Unterbrechungen machen das Buch perfekt auch für jüngere Leser, denn dadurch wird es nie zu unheimlich oder bedrückend, es gibt immer mal wieder eine kleine Verschnaufpause und so manches Mal greifen der Erzähler und Frederic auch ein kleines bisschen vor.

Warmherzig, spannend, voller hübscher Einfälle und vor allem sprachlich wunderschön – „Die Nacht der gefangenen Träume“ ist ein tolles Buch, das Kinder ab ungefähr zehn Jahren begeistern wird!