Die Ansicht, dass Entwicklung über die gesamte Lebensspanne stattfindet, hat in der Entwicklungspsychologie lange ein eher schattiges Dasein geführt. Einer, der die Lebensspannen-Perspektive salonfähig machte, war Paul Baltes, der auch Gründungsdirektor des Forschungsbereiches Entwicklungspsychologie am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin war, wo sich vor allem auf die Erforschung des späteren Erwachsenen- und höheren Alters konzentriert wurde und weiterhin wird.

Nach dem Tod Paul Baltes‘ übernahm Ulman Lindenberger 2006 dessen Direktionsposten. Zusammen mit Jochen Brandstätter, ebenfalls einer der führenden deutschen Entwicklungspsychologen, hat er 2007 im Kohlhammer Verlag ein Lehrbuch zur „Entwicklungspsychologie der Lebensspanne“ herausgegeben. Bisher wurde die meist in einem Kapitel in einem Entwicklungspsychologie Lehrbuch abgehandelt. In Anbetracht der Vielzahl von Studien, die sich mittlerweile mit der Lebensspanne befassen, muss auch ein eigenes Lehrbuch eine Auswahl treffen und kann nicht mehr den gesamten Erkenntnisstand vollständig darstellen.

In neun Kapiteln, die zwischen zwei bis vier Unterkapitel umfassen, werden „historische, theoretischen und methodische Grundlagen“, „biologische Grundlagen“, „kognitive Funktionen“, „Selbst und Identität: Entwicklung als personale Konstruktion“, „adaptive Dynamiken und Bewältigungsprozesse“, „Familie und Partnerschaft als Entwicklungskontexte“, „Entwicklung als soziale und kulturelle Konstruktion“, „Anwendungs- und Inventionskonzepte“ und „Lebensqualität und 'erfolgreiches' Altern“ besprochen. Im Anschluss an diese Rezension kann man unter dem Link "Leseprobe" das Inhaltsverzeichnis des Buches finden.

Wie man im Inhaltsverzeichnis sehen kann, umfassen die einzelnen Kapitel sowohl allgemeine Grundlagen als auch spezifische Konzepte beziehungsweise Themenfelder und beleuchten die Thematik außerdem aus verschiedenen Blickwinkeln. So findet man von altersbedingten neuronalen Veränderungen und ihrem Einfluss auf die Kognition (Biologie) über das Konzept der Weisheit (Psychologie) bis zur soziologischen Perspektive verschiedene Ansätze, die sich der Entwicklung des Menschen über die Lebensspanne nähern. Das vorliegende Lehrbuch konzentriert sich allerdings vor allem auf das Erwachsenen- und höhere Lebensalter, versucht dabei aber sowohl biologisch-genetische als auch historisch-kulturelle Faktoren zu berücksichtigen. Auch die Einflussnahme des Individuums auf seine Umwelt und damit die Mitgestaltung der eigenen Entwicklungsumgebung wird berücksichtigt. Für die einzelnen Kapitel konnten die Herausgeber namhafte Experten als Autoren gewinnen, sodass die Leser hier Informationen aus erster Hand bekommen. Wie bei Herausgeberwerken zu erwarten, sind die Texte und ihre Schreibstile unterschiedlich und setzen auch unterschiedliches beziehungsweise mehr oder weniger Wissen voraus, beispielsweise sind einige neuroanatomischen Kenntnisse von Vorteil, wenn man sich mit den biologischen Grundlagen befasst. Geeignet ist das Buch vor allem für Studenten im Hauptstudium mit einem im weitesten Sinne entwicklungspsychologischen Schwerpunkt, der die Lebensspannenperspektive einbezieht, aber auch für Dozenten, Wissenschaftler und alle, die sich in ihren Arbeitsfeldern mit Altern und Alterungsprozessen befassen.

Ein gelungenes Lehrbuch, das auf einem guten Abstraktionsniveau, interdisziplinär und damit recht umfassend in die Entwicklung des Menschen insbesondere im Erwachsenen- und höherem Lebensalter einführt. Für Studenten könnte allerdings der Preis etwas zu hoch angesetzt sein.