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 Herr Mozart wacht auf

Autoren: Eva Baronsky
Verlag: Aufbau Verlag

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Wenn einer eine Reise tut … Im Fall des hier besprochenen Romans ist es Wolfgang Amadé Mozart, und er befindet sich nicht auf einer Konzertreise, sondern ist unbegreiflicherweise von seinem Sterbebett aus in einer Wiener WG und im Jahr 2006 angelangt.
Eine solche Zeitreise von rund zweihundert Jahren bleibt nicht ohne Nebenwirkungen, insbesondere, wenn man davon ausgehen muss, dass man tot ist und sich im Himmel oder, Gott bewahre, in der Hölle befindet. Wolfgang braucht eine Weile, um zu begreifen, was geschehen ist. Schon allein der Umstand, dass er den Aufenthalt in der Zukunft damit beginnt, unwissentlich die Teetasse seiner unfreiwilligen Gastgeberin Anju als Nachttopf zu verwenden, beschert ihm allerlei Ungelegenheiten. Auch bemerkt er, dass die Menschen ihn für verrückt halten, wenn er erklärt, er sei Mozart. Die Welt um ihn ist beängstigend – rasante Kutschen ohne Pferde, Silberscheiben, aus denen die Musik eines ganzen Orchesters klingt, Treppen, die sich von selbst in eine Art Unterwelt begeben, Kochstellen ohne Feuer und die offensichtlich unabdingbare Notwendigkeit, mit gewissen Dokumenten zur Person ausgestattet zu sein.
Nur der Stephansdom steht unerschütterlich mitten in Wien wie vor zweihundert Jahren.
Verzweifelt, wie er ist, lernt Wolfgang den polnischen Geiger Piotr kennen, der an öffentlichen Plätzen und in Gaststätten musiziert, Wolfgangs Talent als Pianist erkennt und ihn unter seine Fittiche nimmt. Natürlich kann Wolfgang auch ihm seine wahre Identität nicht offenbaren; er nennt sich nun Wolfgang Mustermann, ein Name, den er irgendwo auf einem Formular gesehen hat.
Die Musik, die in dieser verwirrenden Welt nur so auf ihn einstürmt, öffnet Wolfgang schließlich die ein oder andere Tür. Dennoch wäre er völlig verloren, wüsste er nicht um seine große Aufgabe: sein Requiem zu vollenden.

Die Idee, eine Figur aus der Vergangenheit in eine moderne, pulsierende Großstadt zu werfen, ist natürlich nicht ganz neu, man denke etwa an Herbert Rosendorfers "Briefe in die chinesische Vergangenheit". Auf den Gedanken, Eva Baronskys Erstlingsroman mit anderen Werken zu vergleichen, kommt man aber zu keinem Zeitpunkt der Lektüre – das Buch präsentiert sich als originell und eigenständig.
Auf den Autor eines solchen Romans warten allerlei Fallstricke. Nicht zuletzt gibt es genügend Mozart-Biografien mit Briefauszügen des großen "Compositeurs", anhand derer sich der interessierte Leser ein Bild vom Charakter, der Lebenswelt und auch der Sprache des Protagonisten zusammensetzt, das er im Mozart des Jahres 2006 wieder zu finden erwartet. Und natürlich darf sich die Autorin keine Anachronismen in dem Sinne erlauben, dass sich Mozart über einen Gegenstand, eine Gegebenheit oder Sitte, die ihm unbekannt sein müssen, nicht angemessen wundert. Ebenso ist es schwierig, die Menschen in Mozarts neuem Umfeld ohne zu viele Wiederholungen mit passender Entgeisterung und ausreichendem Befremden auf dessen scheinbare Albernheiten reagieren zu lassen; und auch die Handlung darf ja nicht entgleisen. Noch manch weiteren Spagat hält das Thema bereit.
Wer klassische und moderne Musik und vor allem Mozart mag, wird sich nicht nur an der geschickt ersonnenen und ausgeführten Handlung des Buchs erfreuen, sondern auch mit Spannung und Interesse verfolgen, wie Eva Baronsky Mozart neuere Musik, wozu für ihn ja auch Chopin und Tschaikowsky gehören, oder gar Jazz auffasst. Nicht umsonst lässt die Autorin den auferstandenen Musikus eine Art innere Heimat in einem schicken Jazzlokal finden, wo er auf dem Klavier improvisiert.
Sensibel, phantasievoll und plausibel gestaltet Baronsky Mozarts komplexen Weg aus einem fremden Bett in einer Wiener WG hinaus in die moderne Großstadt und seine Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen, wobei die Musik als zeitloses Bindeglied dient. Manchmal lacht man bei der Lektüre hellauf, spürt aber doch einen kleinen Kloß im Hals. Und eine ganz zarte Liebesgeschichte entfaltet sich im Verlauf des Romans allmählich wie ein feines, kostbares Gewürz.
Schräg, jazzig, spannend – behutsam, melancholisch mit leisen Anklängen des mozartschen Requiems, romantisch: eine Geschichte, die von Gegensätzen lebt, phantastisch und glaubhaft zugleich, die uns humorvoll, ohne Bösartigkeit einen Spiegel vorhält; und vor allem absolut lesenswert.

Link zum Interview mit Eva Baronsky

Regina Károlyi



Hardcover | Erschienen: 23. Juli 2009 | ISBN: 9783351032722 | Preis: 19,90 Euro | 320 Seiten | Sprache: Deutsch

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