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Als die Witwe Merrily Watkins als neue Pfarrerin in das westenglische Dorf Ledwardine berufen wird, ahnt sie schon, dass es nicht ganz einfach werden wird – schließlich ist sie eine Frau und wird somit besonders kritisch beäugt, denn Ledwardine ist ein typisch konservatives Dorf mit festen Regeln und Ritualen, über das traditionell die alteingesessene Familie Bull-Davies herrscht.
Merrily ist nicht bereit, sich einschüchtern zu lassen und hat den festen Vorsatz, hier mit ihrer fünfzehnjährigen Tochter Jane heimisch zu werden. Aber schon bevor Merrilys eigentliche Amtszeit als Pfarrerin beginnt, überschattet ein skurriler Todesfall die Gemeinde: Der alte Edgar Powell schießt sich bei einer etwas heidnischen Zeremonie im alten Apfelgarten vor aller Augen den Kopf mit einer Schrotflinte weg. Und das ist erst der Anfang. Ledwardine und seine Einwohner scheinen die eine oder andere Leiche im Keller zu haben, und dass Merrily nicht so recht Fuß fassen kann und Jane sich auch noch ziemlich daneben benimmt, macht es nicht leichter.
Vor allem eine Entscheidung bereitet der Pfarrerin Kopfzerbrechen: Ein exzentrischer Regisseur will ausgerechnet in der Kirche ein Theaterstück aufführen, das in der Vergangenheit Ledwardines rührt und unangenehme Wahrheiten ans Licht bringen könnte: Im 17. Jahrhundert beging hier der Pfarrer Will Williamson Selbstmord, anscheinend nachdem er sich mit Geistern und Hexen eingelassen hatte …
Bei „Frucht der Sünde“ spricht aus jedem Satz, aus jedem Wort der typische Geist eines kleinen englischen Dorfes, wie man es sich vorstellt. Malerisch und unheimlich, konservativ und manchmal bedrohlich, mit schrulligen Einwohnern und alten Traditionen präsentiert sich Ledwardine und lange rätselt man als Hörer, was hier los ist. Nach einem furiosen Auftakt im alten Apfelgarten zieht Autor Phil Rickman erst mal die Bremse gehörig an und nimmt das Tempo raus, und zwar für die folgenden vier CDs. Sehr, sehr langsam nur entfaltet sich die Geschichte, die so gar nicht wie ein richtiger Krimi wirkt, zumal auch Merrily Watkins überhaupt keine richtigen Ermittlungen anstellt - bis ganz zum Schluss. Nach dem spektakulären Selbstmord passiert zunächst fast gar nichts mehr, zumindest nichts wirklich Spannendes, und dennoch fühlt man deutlich eine diffuse Bedrohung und wartet gespannt, was es nun mit diesem Dorf auf sich hat, dessen vorherrschendes Markenzeichen Äpfel sind: Im alten Apfelgarten geschehen unheimliche Dinge, die Cider-Bauern streiten um ihre Interessen, ein Apfel wird zum Todesomen und überall sind Apfelblüten – sie umhüllen alles und machen Ledwardine zu einer beklemmenden Schneekugel.
Etwa in der Hälfte des Hörbuchs verschwindet plötzlich ein Mädchen, und so langsam fügen sich die einzelnen Puzzlestücke rund um Ledwardines dunkle Vergangenheit und ebenso dunkle Gegenwart zusammen. Man muss sehr geduldig sein und wirklich bis zum Ende abwarten, aber auf der letzten CD präsentiert sich dann die von langer Hand vorbereitete, sehr gut gesponnene und ausgedachte Auflösung des Ganzen.
Diese Art von Roman muss einem liegen – wer keinen Spaß hat an den langen und intensiven Beschreibungen des Dorflebens und seiner Bewohner, der wird sich mit Sicherheit rasch langweilen. Es gibt keine Ermittlung, wie man sie aus klassischen Krimis kennt, und ziemlich lange auch keine Verbrechen, doch gegen Ende hin holt Rickman dann doch aus und die Leichen türmen sich bedenklich. Es handelt sich um eine gekürzte Lesung, und trotz der relativen Länge und Beschaulichkeit vermisst man als Leser doch irgendwie die eine oder andere Szene, die alles noch etwas klarer gemacht hätte; manchmal wirken die häufigen Wechsel zwischen den Szenen auch etwas abrupt.
Gesprochen wird das Hörbuch von Andrea Sawatzki, deren ruhige Art genau den richtigen Ton für die Erzählung trifft; nur selten verstellt sie die Stimme, aber wenn, dann gibt sie den Einwohnern Ledwardines genau das richtige Gesicht. Besonders hervorzuheben ist ihre Interpretation von Gomer Parry, einem pensionierten ehemaligen Landarbeiter, den Phil Rickman sehr liebevoll gezeichnet hat und der mit Sawatzkis Stimme so stockend und liebenswert daherkommt (übrigens taucht Parry in weiteren Merrily-Watkins-Romanen auf).
„Frucht der Sünde“ lebt vor allem von seiner Stimmung, von der präzisen und unheimlich atmosphärischen Beschreibung des englischen Dorfes, das so malerisch wie in einem Jane Austen-Roman daherkommt. Wer so etwas nicht mag und nach atemberaubender Spannung und einer „richtigen“ Ermittlerin sucht, der sollte die Finger von diesem Hörbuch lassen. Für alle anderen ist „Frucht der Sünde“ auf jeden Fall eine Empfehlung. Die Reihe um die Pfarrerin Merrily Watkins umfasst in England bereits zehn Teile, auf weitere Fälle darf man also auch in Deutschland gespannt sein!