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 Text + Kritik, Sonderbände: Comics, Mangas, Graphic Novels


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Noch vor nicht allzu langer Zeit war es praktisch undenkbar, dem Medium Comic Raum im wissenschaftlichen Diskurs zusprechen zu wollen beziehungsweise einen solchen überhaupt in Gang zu bringen; zu sehr waren die Bildgeschichten durch Superman, Wonder Woman und die Fantastic Four mit dem Hautgout des Kindlichen – um nicht zu sagen: Kindischen – behaftet. Man lobte den geistreichen Wortwitz eines René Goscinny in „Asterix“ und zeigte sich mitgerissen, als Frank Miller in „The Dark Knight Returns“ den Heldenstatus der Fledermaus neu definierte, doch über den Rang trivialer Unterhaltungskost kam der Comic nur selten hinaus. In den letzten Jahren aber zeigen sich die kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen verstärkt am ach so verruchten Medium interessiert; ebenso wie die bislang milde belächelte Kinder- und Jugendliteratur Eingang in den wissenschaftlichen Diskurs gefunden hat, so erobert auch der Comic langsam, aber unaufhaltsam die Bühne wissenschaftlicher Behandlung: Die Zahl an entsprechender Fachliteratur nimmt – auch im deutschsprachigen Raum – stetig zu, Hochschulschriften über das Phänomen Comic sind längst keine Unikate mehr und auch einführende Seminare in die Comictheorie sind längst Teil des Lehrangebotes von Universitäten. In der Riege unverzichtbarer Literatur im deutschen Raum ist auch der im April 2009 erschienene Sonderband „Comics, Mangas, Graphic Novels“ der Reihe Text + Kritik zu orten.

Dass der Titel dieses Sammelbandes ganz bewusst vermeidet, angesichts der ungeheuren künstlerischen oder schriftstellerischen Bandbreite des Comics Einschränkungen welcher Art auch immer vorzunehmen, spiegelt sich in der Auswahl der Aufsätze wider: Die von den Herausgebern Heinz Ludwig Arnold und Andreas C. Knigge – ersterer eine Koryphäe auf dem Gebiet der Gegenwartsliteratur, der andere ein maßgeblicher Wegbereiter der kritischen Comicrezeption hierzulande – versammelten Beiträge wollen dem Facettenreichtum des Mediums Comic Rechnung tragen. Den Anfang macht Knigge mit einem Abriss über die Ontogenese des Comics von Wilhelm Busch bis zur modernen Graphic Novel, der Kulturjournalist Urs Hangartner schließt mit einem Beitrag über die wechselseitige Beziehung von Literatur und Comic an.
Ein großes Begehren des vorliegenden Bandes ist es, auf die schier unendliche Bandbreite des Comics auf künstlerischer wie schriftstellerischer Ebene hinzuweisen und die Positionen von Zeichnern und Autoren, die dem Medium wertvolle Impulse gaben, hervorzuheben. In Porträts wird auf stilistische Eigenheiten, narrative Techniken und zeichnerische Experimente einer Zeichner- und Autorenschaft eingegangen, wie sie unterschiedlicher nicht sein kann: So widmet sich Wolfram Knorr dem Comic-Pionier Will Eisner und seinem umfang- wie facettenreichen Werk, während Andreas Platthaus die Dramaturgie in den Entenhausen-Comics von Carl Barks zum Untersuchungsgegenstand macht. Herbert Heinzelmann untersucht Hugo Pratts Comic-Zyklus um den Matrosen Corto Maltese nach Aspekten der Moderne und Postmoderne, und mit Pierre Christin und Jacques Tardi wird zwei Comic-Künstlern Ehrerbietung erwiesen, die den französischen Comic unschätzbar bereichert haben. Dietrich Grünewald, Professor für Kunstwissenschaft an der Universität Koblenz-Landau, beschäftigt sich mit Erzähltechniken in den Werken Alberto Breccias, während Jens R. Nielsen dem Einfluss der Atombombe auf den japanischen Manga auf den Grund geht. Auch werden Entwicklung und Kennzeichen der autobiografischen Comic-Erzählung untersucht und mit Robert Crumb und David B. zwei außergewöhnliche Künstler für eine Analyse herangezogen. Als Gott der britischen Graphic Novel darf natürlich auch Alan Moore nicht fehlen, dessen Meisterwerk „Watchmen“ im Zentrum von Dietmar Frenz’ Untersuchung steht. Der Romancier Jannis Manolis Violakis geht auf das Motiv des Comics im Comic (!) ein, und auch das „Fremdgehen“ von Schriftstellern mit dem vermeintlichen Todfeind Comic ist Thema eines Aufsatzes. Ein Werkstattgespräch Knigges mit dem deutschen Comic-Verleger Dirk Rehm rundet den Band ab.

Diese Übersicht über die behandelten Themen verleitet leicht dazu, dem Band voreilig indiskutable Unvollständigkeit vorzuwerfen. So spricht der Klappentext etwa davon, dass Graphic Novels wie Art Spiegelmans „Maus“ den Beweis liefern, sich im Comic auch abseits von Klamauk und Kulleraugen mit Themen wie dem Holocaust ernsthaft auseinandersetzen zu können, doch ein eigener Beitrag bleibt Spiegelman verwehrt. Der französische Comic wird „nur“ durch Namen wie Pierre Christin vertreten, einen René Goscinny sucht man hingegen vergeblich – von den Superhelden-Comics aus den Häusern Marvel und DC gar nicht zu sprechen. Die Liste könnte mit Hal Fosters „Prinz Eisenherz“, den brutalen Comics eines Frank Millers und dergleichen noch weiter geführt werden, welches Kaufargument könnte diesen Lücken also entgegengesetzt werden?

Gerade diese vermeintlichen Leerstellen sowie die tatsächlich Behandlung findenden Werke und Autoren machen den Wert des Sammelbandes aus: Zu Spiegelmans „Maus“ gibt es auch im deutschsprachigen Raum schon ansprechende Literatur – an dieser Stelle wäre etwa Ole Frahms Dissertation „Genealogie des Holocaust“ zu nennen – und auch Asterix, Tim und Struppi, Batman und Wolverine sind schon vergleichsweise wissenschaftlich ausgeschlachtet worden. Doch zu den autobiografischen Comics eines Robert Crumb, den historischen Bildgeschichten eines Jacques Tardi oder den ruhig von Alltäglichem erzählenden Mangas eines Jiro Taniguchi ist hierzulande bislang noch wenig veröffentlicht worden – wenn überhaupt. Der Band „Comics, Mangas, Graphic Novels“ durchstößt somit zugleich die Oberfläche des Mainstreams und zeigt, welch unglaubliche Vielfalt und künstlerischen Reichtum denjenigen erwartet, der bereit ist, über den kanonisierten Tellerrand à la Goscinny und Stan Lee hinauszublicken. Die Autoren und Herausgeber bereiten damit der Comicforschung hierzulande einen äußerst wertvollen Dienst, wie er bislang bedauerlicherweise allzu selten geleistet worden ist.

Naturgemäß bringen unterschiedliche Autoren unterschiedliche stilistische und wissenschaftliche Qualitäten in einen Sammelband mit hinein – ein Charakteristikum, welches auch vor „Comics, Mangas, Graphic Novels“ nicht Halt macht. Der erste Beitrag – die Einführung in die Geschichte des Mediums Comic von Andreas C. Knigge – ist zugleich einer lesenswertesten: Es ist einfach bemerkenswert, wie es Knigge schafft, auf knapp dreißig Seiten einen unterhaltsamen Abriss über die Entwicklung des Comics vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart abzuliefern und dabei zwar größtenteils beim US-amerikanischen Comic zu bleiben, gleichzeitig aber auch auf alle relevanten Bereiche wie die „ligne claire“, den japanischen Manga oder das noch junge Genre der Comic-Reportage zu sprechen zu kommen; als Einführung wirklich brillant. Auch Platthaus’ Aufsatz über Carl Barks’ „Entenhausener Dramaturgie“, Engelmanns Beitrag zu David B.s autobiografischen Comic-Erzählungen oder Knorrs Porträt von Will Eisner sind überzeugend konzipiert und interessant geschrieben. Nielsens Behandlung des Mangas bietet dem Manga-Interessierten wenig Neues, ist aber als erste kurz gehaltene Annäherung an den japanischen Comic durchaus zu empfehlen.

Was Heinz Ludwig Arnold und Andreas C. Knigge mit „Comics, Mangas, Graphic Novels“ vorlegen, ist nichts Geringeres als eine der wertvollsten Beiträge zur Befreiung des Comics vom Stigma infantiler Schundliteratur, die in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum veröffentlicht worden sind. Kleine Mängel können dem großartigen Gesamteindruck dieser vorzüglichen Sammlung nichts anhaben, das facettenreiche Spektrum des Mediums Comic wird entsprechend gewürdigt. Wer sich auf wissenschaftlicher Ebene mit dem Phänomen der Bildgeschichten beschäftigen will, kommt um diesen Band ebenso wenig herum wie um Scott McClouds „Understanding Comics“ oder Will Eisners „Comics and Sequential Art“.

Michael Höfel



Taschenbuch | Erschienen: 1. April 2009 | ISBN: 9783883779959 | Preis: 29,00 Euro | 272 Seiten | Sprache: Deutsch

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