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„Fliehganzleis“ ist das zweite Buch der Autorin Friederike Schmöe, in welchem die recht eigenwillige, sich selbst als chaotisch bezeichnende Ghostwriterin Kea Laverde auf die Suche nach einem Mörder geht. Unterstützt von Nero Keller, einem Polizeihauptkommissar des bayrischen LKA, und einer sehr betagten, aber noch mitten im Leben stehenden alten Dame steckt sie ihre Nase zu tief in den Sumpf des Lebens und schafft es nur mit viel Glück und der Hilfe ihrer Freunde, einem persönlichen Fiasko zu entgehen
Kea Laverde arbeitet im unterfränkischen Schloss Rothenstayn, wo sie im Auftrag der Gräfin, deren Lebensgeschichte schreibt. Eine Geschichte, die in den siebziger Jahren mit einer misslungenen Flucht aus der damaligen DDR beginnt und geprägt von den in jener Zeit herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen von der jungen Ärztin einiges an Zugeständnissen und Kompromissen abverlangt. Doch bevor Larissa Gräfin Rothenstayn die Eckpunkte ihres bewegten Lebens berichten kann, liegt sie schwerverletzt am fünfhundert Meter entfernten Bach des Anwesens. Den einzige Hinweis, den sie auf den Täter geben kann, ist eine gegenüber ihrer Ghostwriterin Kea Laverde geäußerte letzte Bitte: „Finden Sie Katjas Mörder.“
Kea ist ratlos. Weder sie noch die eigens aus Hamburg angereiste Cousine der Gräfin Milena Rothenstayn wissen, wer diese Katja ist. Gemeinsam mit dem Polizeihauptkommissar Nero Keller, dessen privates Interesse an Kea über eine gelegentliche Caféhaus-Bekannschaft hinausgeht, versucht sie Licht in das Dunkel einer Lebensgeschichte zu bringen, die zunächst ungeheuerlich anmutet, nach und nach aber ungeahnte Machenschaften offenbart, die in dem damals sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat an der Tagesordnung waren. Und während sie voller Eifer an alten Wunden kratzt, bemerkt sie nicht, dass auch sie in das Visier des Mannes gerät, der für den Tod des vor vierzig Jahren ertrunkenen Mädchens verantwortlich ist.
Friederike Schmöe hat mit „Fliehganzleis“ einen Kriminalroman geschrieben, in dem sie nicht nur ihre Protagonistin Kea Laverde auf Mörderjagd schickt, sondern auch ein Stück deutscher Geschichte aufarbeitet, die weit vor dem Fall der Mauer das Leben vieler Menschen beeinflusst hat. Basierend auf realgeschichtlichen Hintergründe gelingt es ihr, einen Plot zu konstruieren, der spannend erzählt, voller Gefühl und unaufbereiteter Emotionen steckt. Gut recherchiert und mit Figuren versehen, die alles andere als langweilig und einschichtig daherkommen, hält sie den Leser in ihrem Bann und lässt ihn erst wieder los, wenn auch die letzte Ungereimtheit beseitigt ist.
Besonders interessant und lesenswert präsentieren sich die Kapitel, die aus der Sicht von Kea Laverde erzählt werden. Schonungslos offenbart sie ihre Gefühlswelt, gibt Einblicke in Wünsche und Ängste, berichtet von ihrem Leben als etwas zu mollig geratene Single-Frau. Aber auch die Verdrängung und schrittweise Aufarbeitung ihres Traumas wird thematisiert - ein persönliches Handicap, das ausgelöst durch einen Bombenanschlag in Sinai tief in ihrem Innern brodelt. Nicht weniger interessant und gut dargestellt ist ihre ureigenste Auseinandersetzung mit der Thematik der Fluchthilfe aus dem damaligen sozialistischen Staat, den sie als Jugendliche und Bürgerin der Bundesrepublik Deutschland so nicht erleben konnte.
Friederike Schmöe bedient sich in ihrem Buch einer Schreibweise, die flüssig und gut lesbar daherkommt. Unter Einbeziehung bildhafter Elemente, kombiniert mit kurzen, prägnanten Kapiteln und einem funktionierenden Wechsel der Erzählperspektiven, bringt sie geschickt Abwechslung in das Geschehen. Einziger Kritikpunkt: Der wunderbar aufgebaute Spannungsbogen gerät hin und wieder durch die recht umfangreich eingefügten, geschichtlichen Fakten ins Stocken. Hier wäre etwas weniger mehr gewesen.
Insgesamt betrachtet, ist „Fliehganzleis“ ein Kriminalroman, der basierend auf einer fesselnden Geschichte und unter Einbeziehung lebensechter Charaktere tief in die geschichtliche Vergangenheit der ehemaligen DDR eintaucht und damit eine Reise in die Vergangenheit vollzieht, die den Leser nachdenklich werden lässt. Ein Buch vorwiegend für Krimifans, die eine Aufarbeitung historischer Ereignisse nicht scheuen - und genau für diese Fans hat die Autorin in ihrem Nachwort entsprechende Erläuterungen zur Thematik und den benutzten Quellen beigefügt.