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Als im Jahre 2002 mit "Moby-Dick oder Der Wal" eine zehnteilige Hörspielproduktion des Bayerischen Rundfunks beim Hörverlag veröffentlicht wurde, waren sich Kritiker wie auch Hörer über die Qualität des Ergebnisses uneinig. Dennoch wurde das Hörspiel wiederholt als "Hörbuch des Monats" ausgezeichnet und gewann Anfang 2003 sogar den "Preis der Deutschen Schallplattenkritik". Drei Jahre nach der Veröffentlichung bearbeitete Regisseur Klaus Buhlert sein Hörspiel in wohl noch nie dagewesener Form und kürzte es von ursprünglichen 540 Minuten auf eine Spielzeit von gerade einmal rund 80 Minuten. So erschien nun im September 2005 beim Hörverlag der "Adventure Cut" von "Moby-Dick oder Der Wal".
Nennt mich Ismael. Mit diesen Worten beginnt Melvilles Erzähler seine Geschichte zu berichten. Jahre nachdem er das letzte Mal zur See gefahren ist, zieht es Ismael erneut hinaus auf die Weiten des riesigen Ozeans; so entschließt sich Ismael auf die Walfängerinsel Nantucket zu reisen und dort sein Glück als Matrose zu versuchen. Gemeinsam mit Queequeg, einem Harpunier polynesischer Abstammung, den er in einer Herberge kennengelernt und mit dem er sich schnell angefreundet hat, heuert Ismael schließlich auf dem Walfänger "Pequod" an und sticht schon bald in See. Über die Absichten des Kapitäns der "Pequod", einem Mann namens Ahab, wird viel gemunkelt, doch er selbst lässt sich zu Beginn der Fahrt nicht an Deck seines Schiffes blicken, sondern lässt seine Befehle stattdessen über seine Offiziere ausführen. Erst nach einigen Tagen auf dem Meer zeigt sich Kapitän Ahab seiner Mannschaft und verkündet das Ziel, das er mit ihrer Hilfe zu verfolgen gedenkt: Er will den weißen Wal Moby-Dick jagen und töten - selbst wenn er bei diesem Unterfangen sein Leben lassen müsste. Denn seit ihm Moby-Dick ein Bein abgerissen hat, verspürt Ahab ein unstillbare Wut und einen Rachedurst, der sich nur durch den Tod des gigantischen Meeressäugers stillen lässt. Um seinen Matrosen diese Jagd schmackhaft zu machen, nagelt Ahab eine Golddublone an den Hauptmast, die demjenigen zustehen soll, der den auffälligen weißen Wal zuerst sichtet und die erkennende Wendung "Da bläst er!" ausruft. Und dann ist es endlich so weit: Nach dem Hinweis eines anderen Walfängers wird Moby-Dick von der "Pequod" aufgestöbert und eine gnadenlose Jagd beginnt. - Doch wer ist Jäger, wer Gejagter? Da beginnt Moby-Dick mit dem Angriff ...
Ob "Abenteuerhörspiel", "Action-Fassung" oder "Adventure Cut" - Der Aufdruck auf der CD-Hülle sowie die Ansage zu Beginn des Hörspiels selbst geben verschiedene Möglichkeiten vor, wie man die Bearbeitung der ursprünglich über zehn Stunden langen Produktion nennen könnte. Doch welche Bezeichnung man auch bevorzugt, eine Eigenschaft vereint alle drei Begriffe: Die vorliegende Fassung von "Moby-Dick oder Der Wal" soll sich durch einen rasanten, abenteuerlichen Schnitt ausweisen.
Früh stellt sich jedoch bereits heraus, dass die Idee, ein langes Hörspiel zu einer Action-Fassung zusammenzustutzen, einige große Nachteile mit sich bringt. Logischerweise müssen bei einer Kürzung in derart umfangreichem Maße viele, für den Handlungsverlauf jedoch mitunter wichtige Szenen gestrichen werden, wodurch sich bei "Moby-Dick oder Der Wal" ein nur sehr lückenhaftes Gesamtbild zusammensetzt. Viele Handlungssprünge verstärken zudem das Gefühl der Unübersichtlichkeit, das sich dem Hörer von Beginn an aufdrängt und nicht zuletzt dadurch hervorgerufen wird, dass die Produktion viel zu ungeordnet und scheinbar ohne zielgerichtetes Muster zwischen Erzählpassagen des Ich-Erzählers Ismael und Hörspielszenen mit mehreren Charakteren hin- und herspringt. Hinzu kommt, dass sich die verschiedenen Arten, Melvilles Geschichte wiederzugeben, auf eine für den Hörer sehr unangenehme Art miteinander vermischen. So gibt Ismael beispielsweise des öfteren einen Teil der Texte der anderen Charaktere wieder, woraufhin diese selbst zu reden fortfahren und das Hörbuch von Erzählung zu szenischem Spiel wechselt. Kaum jedoch hat man diesen Wechsel wahrgenommen, ändert sich die Erzählstruktur bereits wieder und Ismael berichtet erneut von seinen Erlebnissen.
Gesprochen von Rufus Beck ist der Ich-Erzähler Ismael die Figur, welcher man am besten lauschen kann. Zwar können auch Felix von Manteuffel als zweiter Erzähler - nämlich Melville persönlich -, Manfred Zapatka als Kapitän Ahab, Ulrich Matthes als Starbuck und viele andere Sprecher in ihren Rollen überzeugen, doch Rufus Beck spricht gekonnt ruhig und dennoch voller Emotionen. Dabei scheint er Akzentuierungen und Betonungen stets dort zu setzen, wo sie für einen sehr angenehmen Lesefluss und ein leichtes Verständnis seitens des Hörers am meisten von Nutzen sind.
Bevor er sich dieses Hörspiel anhört, wird sich vermutlich jeder Hörer Gedanken darüber machen, was ihn bei einem sogenannten "Abenteuerhörspiel" erwarten wird. Der Schluss liegt sehr nahe, die Vorstellungen sind schnell konkretisiert: Der Schwerpunkt des Hörspiels wird natürlich in erster Linie auf die abenteuerliche, actionreiche Jagd auf Moby-Dick, den weißen Wal, gerichtet sein. - Wer ebenso wie ich zu diesem Schluss gekommen ist, wird höchstwahrscheinlich enttäuscht von "Moby-Dick oder Der Wal" sein, denn so viel Action bietet dieses Hörspiel gar nicht einmal. Im Gegenteil: Überrascht bemerkt der Hörer, wie viel Wert dennoch auf die Vorgeschichte gelegt wird, das heißt auf den Teil, in welchem Ismael noch nicht auf dem Walfänger angeheuert hat. Hier begegnet Ismael zum Beispiel Queequeg, einem Harpunier, der später auf demselben Schiff anheuern wird wie der Erzähler selbst, und schließt mit diesem Freundschaft. - Ein Detail, das für die vorliegende Action-Fassung überflüssiger nicht sein könnte. Denn Queequeg selbst taucht im weiteren Verlauf der Handlung nicht mehr auf, er wird Teil der Mannschaft, die - abgesehen von den Offizieren und dem Kapitän selbst - nur noch als große Masse auftritt; nicht einmal heraushören kann man Queequeg mehr aus dieser Masse und das, obwohl er - da er nur gebrochenes Deutsch spricht - anhand seiner Stimme sehr leicht zu erkennen sein müsste. Einzelne Matrosen gehen also in diesem Schnitt vollkommen unter und verlieren ihre charakteristische Identität, werden zu einer einzigen Einheit zusammengedrängt; so auch Ismael selbst, dem lediglich die Rolle des Erzählers bleibt, der als Matrose der "Pequod" jedoch von keiner Bedeutung zu sein scheint.
Ebenfalls etwas befremdlich wirkt das Hörspiel gegen Ende, als Moby-Dick endlich erspäht und die Jagd auf den weißen Wal eröffnet wird. - An dieser Stelle nämlich erklingt die Ansage "Kapitel 133 - Die Jagd: Der erste Tag". Wieso werden hier denn auf einmal Kapitelnummern eingeführt? Eine befriedigende Antwort auf diese Frage lässt sich auch im weiteren Verlauf des Hörspiels nicht finden, doch vielleicht wollte man damit einfach die Jagd auf Moby-Dick, also den mehr oder weniger actionreichen Teil des Hörspiels, nochmals deutlich hervorheben. Denn bevor auf die Nummerierung wieder verzichtet wird, darf sich der Hörer noch auf ein "Kapitel 134 - Die Jagd: Der zweite Tag" und ein "Kapitel 135 - Die Jagd: Der dritte Tag" freuen. Diese drei Tracks haben übrigens eine Laufzeit von knapp achtzehn Minuten, stellen also nicht einmal ganz ein Viertel des "Adventure Cuts" dar.
Die Hintergrundgeräusche, welche die Handlung von "Moby-Dick oder Der Wal" unterlegen, wirken allesamt sehr authentisch und tragen dazu bei, dass vor dem inneren Auge des Hörers Bilder, sogar ganze Szenarien entstehen. An einigen Stellen hat man jedoch den Eindruck, dass das eine oder andere Geräusch nicht im richtigen Moment eingespielt wird. So kann man beispielsweise bereits Walgesänge und -rufe hören, obwohl der Walfänger noch vor Anker liegt und sich damit auch Ismael noch an Land beziehungsweise im Hafen befindet. Zudem drängen sich die Geräusche, die eigentlich den Handlungsverlauf lediglich unterlegen und begleiten sollten, viel zu sehr in den Vordergrund, ziehen stellenweise mehr Aufmerksamkeit auf sich als die Dialoge der Charaktere oder die Erzählung Ismaels.
Die Musikuntermalung kann besonders dann überzeugen, wenn sie sich nach einfachen Melodien und Tonfolgen richtet, die in ihrer Motivik hervorragend zu einer Seefahrtsgeschichte passen. Aber auch hier wird ab und an leider ein wenig daneben gegriffen und nicht immer schafft es die musikalische Unterlegung, das Abenteuerhörspiel akustisch zu bereichern.
Fazit:
Was sich hier "Abenteuerhörspiel" nennt, wirkt für seinen Hörer erstaunlich lahm. Trotz einiger hervorragender Sprecher, die - allen voran Rufus Beck - dem Hörer Melvilles Geschichte um den weißen Wal näherzubringen versuchen, sorgt eine verwirrende, hin- und herspringende Erzählstruktur aus Erzählung und Dialog für Unübersichtlichkeit und unangenehme Unruhe. Eine überraschend ausführliche - und für diese "Action-Fassung" unnötige - Vorgeschichte, viele Handlungssprünge sowie die Tatsache, dass die Matrosen der "Pequod" keine oder kaum Individualität besitzen sind weitere zu bemängelnde Punkte dieses sogenannten "Adventure Cuts". Die vorliegende Version von "Moby-Dick oder Der Wal" bleibt also ein netter, aber leider misslungener Versuch, ein umfangreiches Hörspiel temporeich zu kürzen.