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Der britische Nobelpreisträger Rudyard Kipling hat mit „Das Dschungelbuch“ und „Kim“ weltweite Berühmtheit erlangt. Doch sein Rang als Autor begründet sich eher auf seinen früheren Schriften. So gilt auch „Indische Erzählungen“ als eine Sammlung großartiger Kurzgeschichten. In dem vorliegenden Hörbuch sind drei dieser Stücke ausgewählt und von Ulrich Noethen vergetragen worden.
Ohne kirchlichen SegenEin britischer Beamter hat sich in eine sechzehnjährige Inderin verliebt. Er mietet für sie und ihre Mutter ein kleines Haus unweit der Stadt. Ihr Glück scheint vollkommen, als sich Nachwuchs ankündigt. Doch ihre Liebe steht unter keinem guten Stern. Zumindest die junge Frau lebt unter der ständigen Angst, dass Gott sie für ihr Tun bestrafen wird. Denn nicht nur ist den Briten solch eine Beziehung untersagt, sie wird auch noch erschwert durch die Tatsache, dass die junge Inderin dem islamischen Glauben angehört, ihr Mann aber Christ ist.
Die GeisterrikschaEin junger britischer Gentleman ist verstorben. Während sein Arzt felsenfest davon überzeugt ist, dass Überarbeitung die Ursache für den frühen Tod des Mannes ist, bezeugt ein Manuskript, das im Nachlass des Verstorbenen gefunden wird, eine ganz andere Ursache. In ihm schildert der Brite, wie er einer verheirateten Frau erst seine unsterbliche Liebe schwört, Jahre später aber mit Hass und rüdestem Benehmen ihren Tod verursacht. Und dann – er ist wieder verliebt und seit kurzem verlobt – der Verstoßenen wieder begegnet. Obschon seit sechs Monaten begraben, lauert sie ihm täglich mitsamt Rikscha und Bediensteten auf der Straße auf und fleht ihn an, ihr wieder seine Liebe zu geben.
Der Bisara von PooreeEin kleiner, juwelenbesetzter Holzfisch in einem unscheinbaren Schmuckkasten bringt seinem Besitzer die Macht über jede von ihm angebetete Frau ein – wenn er den Fisch gestohlen hat. Doch bekommt er ihn rechtmäßig, erleidet er immer wieder schlimmste Schicksalsschläge bis hin zu seinem Tod, genau drei Jahre nach dem Erhalt des Fisches. So gelingt es auch dem hässlichsten Soldaten der britischen Armee seine wunderschöne Angebetete zu erobern, nachdem er den „Bisara von Pooree“ gestohlen hat. Dumm nur, dass der Bestohlene davon Wind bekommt.
Vor mehr als einhundert Jahren entstanden, sind diese drei Geschichten auch heute noch brillante Beispiele für den hohen literarischen Rang Rudyard Kiplings und seinen einzigartigen Umgang mit Sprache und der wundervollen klaren Darstellung der uns so fremden indischen Kultur. Was Kipling da in wenigen Sätzen skizziert, ist ein so genaues Bild der Situation um die Jahrhundertwende wie nur möglich. Die koloniale Rolle der Briten um 1900, die Überheblichkeit der westlichen Denkweise gegenüber den Indern, die feinfühlige Darstellung der Brüche zwischen diesen sich fremd bleibenden Nationen und die Verbindungsglieder, die gleichzeitig auch heute noch bestehen, werden kenntnisreich dargestellt.
Dabei ist für den Hörer vor allem die erste Geschichte von Interesse. Die Liaison zwischen dem britischen Beamten und der schönen jungen Inderin ist so oder so ähnlich auch heute noch vorstellbar. Voll innerer Spannung und versteckter Andeutungen ist „Ohne kirchlichen Segen“ ohne jeden Zweifel die beste und packendste Geschichte dieses Hörbuchs. Dies liegt zum einen am Stil des Autors, zum anderen aber auch an der brillanten Vertonung. Ulrich Noethen gibt dieser tragischen Romanze eine so faszinierende Stimme, dass man nur gebannt zuhören kann.
Weniger packend ist die zweite Geschichte. Nicht nur ist diese Geistergeschichte einfach nur öde, auch kann sie lange nicht so fesseln wie die erste. Weniger langweilig als abstrus, dafür umso erhellender die indische Seele beleuchtend, ist „Der Bisara von Pooree“. Hier kann man nur verwundert lauschen und sich der Meisterschaft Kiplings und Noethens anvertrauen.
Wenig gelungen ist die Aufmachung dieser Jubiläums-Edition eines älteren Hörbuchs. War die erste Ausgabe noch mit einem stimmungsvollen indischen Stillleben versehen, sieht man nun nur noch Ulrich Noethen auf dem Cover. Zwar ist der Sprecher hier in Bestform, ob man ihm aber direkt die gesamte Vorderansicht dieses Hörbuchs gönnen sollte, ist zumindest fraglich.
„Indische Erzählungen“ lohnt sich für alle, die einen der großen Literaten des letzten Jahrhunderts erleben möchten. Zudem gibt Ulrich Noethen eine Glanzvorstellung als Sprecher. Und auch wenn die drei Geschichten von sehr unterschiedlicher Qualität sind, vermitteln sie doch ein spannendes und facettenreiches Bild des Indischen Subkontinents vor mehr als einhundert Jahren.