Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Bedienung | |
Bildqualität | |
Glück | |
Spannung | |
Spielregel | |
Strategie | |
Der Zweite Weltkrieg ist immer wieder beliebte Kulisse für PC-Spiele, vermutlich, weil in den Jahren 1939 bis 1945 sehr viel auf dem Spiel stand. Der Kampf der Ideologien, der freiheitlich-westlichen Welt gegen das faschistische Deutschland und seine Verbündeten, die japanische Invasion im pazifischen Raum, der unmenschlich grausame Vernichtungsfeldzug der deutschen Truppen gegen die kommunistische Sowjetunion waren begleitet von (teilweise erschreckenden) Visionen einer Neuordnung der ganzen Welt, ja der Zivilisation. Wie diese wohl aussehen würde, wenn damals das nationalsozialistische Deutschland den Krieg gewonnen hätte? Man mag es sich nicht vorstellen.
In "Hearts of Iron III", dem nunmehr dritten Teil der berühmten Strategiereihe von Paradox Interactive, können ambitionierte Spieler den Krieg der Kriege ein weiteres Mal nachspielen - und verändern! Denn hier kann buchstäblich jede Nation der damaligen Ära geführt werden. Der Spieler übernimmt die Regierung des jeweiligen Landes und bestimmt Personal, Industriepolitik, Forschung, militärische Führung, Diplomatie und nicht zuletzt das militärische Oberkommando, um den Staat durch die furchtbaren Kriegsjahre zu leiten, die eigene Ideologie zu schützen und zu verbreiten, oder als aggressiver Staat seine Grenzen mächtig auszuweiten. Ob man nun England, die USA, Mexiko oder die Schweiz spielt, Kuba, Korea oder Tibet, steht jedem frei (auch wenn natürlich ein winziger Staat recht wenig Entfaltungsmöglichkeiten hat). Und natürlich kann man die Geschichte kräftig umschreiben. Was wäre gewesen, wenn Polen 1943 die deutschen Truppen überraschend zurückgeschlagen hätte? Was wäre passiert, wenn in England die faschistische Partei unter Oswald Mosley an die Macht gekommen wäre? Oder Franco den Spanischen Bürgerkrieg verloren hätte?
Um das herauszufinden, muss man sich freilich erst in die nicht gerade leichte Materie von "Hearts of Iron III" hineinfuchsen. Die Spiele der schwedischen Softwareschmiede gelten seit jeher als höchst komplex und schwer zu erlernen. Der neuste Teil der Weltkriegssimulation macht da keine Ausnahme. Die Vielfalt an Möglichkeiten erschlägt einen zunächst, vor allem die ausgeklügelten Produktionsketten und Forschungsprojekte, die man als Staatschef in die Wege leiten kann. Zum Glück bietet "HOI III" die Möglichkeit, einige Spielelemente komplett von der KI übernehmen zu lassen. Wer will, kann die Diplomatie, Spionage, den Handel und die Forschung vollständig vom Computer lenken lassen und sich selbst auf das Militär konzentrieren ... oder die Streitkräfte den virtuellen Generälen anvertrauen und sich auf die Heimatfront konzentrieren. Denn die wohl größte Änderung zum Vorgänger ist die neue Armeestruktur. Truppen sind nun in verschiedene Hierarchien gestaltet, an deren Spitze die Hauptquartiere (HQ) und die "Theater" stehen (also die jeweiligen Kriegsschauplätze). Denen kann man präzise Befehle erteilen, sie zum Beispiel anweisen, die Maginotlinie zu beschützen, Gibraltar einzunehmen oder Königsberg einzukesseln. Hat man das Prinzip erst verstanden, geht die Kriegsführung erstaunlich leicht von der Hand. Leider ist die Zuteilung der Truppen zu neuen Hauptquartieren oder Kriegsschauplätzen recht fummelig; hier wäre ein Drag&Drop-System sicher besser gewesen. Hinzu kommt die schon fast sträflich schlechte Hilfestellung der Tutorials, die man kaum als solche bezeichnen kann; in den sechs Tutorials werden gerade einmal die wichtigsten Menüs erklärt (die der gesunde Menschenverstand gerade noch selbst begreifen kann),während die komplexe Armeeführung völlig ausgespart wird. Verstehe das, wer will ... bei einem strategischen Kriegsspiel!
Umso besser ist dafür das Handbuch geraten, dessen Lektüre dringend empfohlen wird. Nur so wird einem die ganze strategische Tiefe dieses Programms bewusst, und man kann mit den verschiedenen Spielelementen experimentieren. Etwa mit der Diplomatie, die es ermöglicht, Einfluss auf andere Staaten zu nehmen und diese im "Ideologiedreieck" dem jeweils präferierten Machtblock anzunähern. Oder die Spionage, die hier eine wirklich wichtige Rolle spielt, da nur sie den Nebel des Kriegs (teilweise) lichtet und enthüllt, welche Truppen des Gegners wo stehen. Aber man kann auch durch Propaganda die Kriegsmüdigkeit im gegnerischen Staat erhöhen oder die Angst vor einem Nachbarstaat schüren. In der Forschung werden hingegen neue Waffen, Flugzeuge, Panzer, Militärdoktrine und Dechiffriermaschinen entwickelt, um im technologischen Wettlauf mitzuhalten. Dazu wiederum benötigt man eine starke Industrie, die aus den Rohstoffen (Metalle, Energie, seltene Materialien, Öl) Schiffe und Flugzeuge, Treibstoff und Nachschublieferungen herstellt. Konvois transportieren diese Güter zu den jeweiligen Kriegsschauplätzen; wehe dem, der seine Nachschubwege nicht schützt, denn dann sind die Truppen abgeschnitten und verlieren ihren Organisationswert bis zum völligen Verfall, und Panzer bewegen sich ohne Treibstoff schlicht nicht mehr vom Fleck. Hier greifen Produktion, Innenpolitik und Kriegsführung Hand in Hand und erfordern strategisches Geschick.
Auch sonst gibt es interessante Features zu entdecken. Wird der eigene Staat ausgelöscht, kann man unter gewissen Umständen als Exilregierung bei einem Verbündeten unterschlüpfen und mit - wenigen - Operationseinheiten dem verhassten Feind Nadelstiche versetzen. Vielleicht gelingt es sogar, Teile des eigenen Territoriums zurückzuerobern? Ebenso reizvoll sind die nationalen Entscheidungen, die Meilensteine des realen Geschichtsverlaufs simulieren. Und natürlich jede Menge politische Parteien, die in Demokratien in Wahlen gegeneinander antreten, historische Minister und Generäle, ausgesuchte Ereignisse, eine detaillierte Wettersimulation und und und ...
Ist "Hearts of Iron III" also die ultimative Weltkriegssimulation? Ein paar Macken trüben das Bild, unter anderem die oft hanebüchene Lage und Bezeichnung der sage und schreibe 15.000 Provinzen, die etwas nervigen Popups (vor allem bei Handelsangeboten) und das auch nach aktuellem Patch noch nicht sonderlich stimmige Balancing, das zu kuriosen Kriegssituationen führt. Im Testspiel kam es vor, dass Australien unvermittelt die friesische Küste besetzt, Italien in Schottland einmarschiert oder Belgien der Kommunistischen Internationale beitritt. Hier wird man noch einiges nachbessern müssen. Doch schon die jetzige Version zeigt das unglaubliche Potential dieses Ausnahmespiels und bietet eine taktische Breite, die alle vergleichbaren Titel vermissen lassen.
Grafisch gibt sich "Hearts of Iron III" in guter Paradox-Tradition eher zweckmäßig. Statt Schauwerten dominieren die trist-braunen Farben der Epoche; die zoombare Karte kann dennoch beeindrucken. Truppen werden wechselweise als Sprites oder Counterstacks dargestellt, Gefechte werden in einer statistischen Kampfansicht abgehandelt. Wer das für zu trocken hält, hat das Grundprinzip des Spiels nicht verstanden; der strategische Biss steckt hier im Detail, und Kämpfe entscheiden sich oft durch eine kluge Nachschubversorgung, fähige Generäle, eine durchdachte Armeestruktur und ein raffiniert gesetztes Hauptquartier, von dem aus man die Truppen befehligt. Strategiefans können sich auf jeden Fall reichlich austoben - über Jahre hinweg.
"Hearts of Iron III" ist damit auch in seiner dritten Verkörperung (trotz des miserablen Tutorials und ein paar Balancing-Problemen, die hoffentlich bald durch Patches behoben werden) ein absolutes Highlight und Meisterwerk. Casualspieler und RTS-Zocker sollten natürlich die Finger von den Eisenherzen lassen. Geschichtlich interessierte Strategiehasen, die die nötige Einarbeitungszeit nicht scheuen, werden sich hingegen im siebten Himmel wähnen.