Deutschland hat gewählt. Das Ergebnis dürfte Albrecht Müller, Autor des Buchs "Meinungsmache" und bekannt für seine regierungskritische Website
www.nachdenkseiten.de, weder gefallen noch verwundert haben; nicht gefallen, da Müller als einstiger Mitarbeiter der Regierungen Schmidt und Brandt seine Wurzeln in linken Flügel der SPD sieht, und nicht verwundert, da er sich seit Jahren mit den meinungsbildenden Prozessen in Deutschland auseinandersetzt.
Schon in seinem Bestseller "Die Reformlüge" hat sich Müller mit den beunruhigenden Vorgängen in unserem Land auseinandersetzt, die er seit der Agenda 2010 und ihren Folgen beobachtet. Nachdem er in jenem Buch die Reformen als teilweise fragwürdig, ökonomisch falsch und lange Sicht fatal entlarvt hat, beschäftigt ihn diesmal die Willensbildung, die den Reformen vorausgeht. Denn jeder politischer Prozess wird bekanntlich von meinungsbildenden Maßnahmen vorbereitet und begleitet. Ein kritischer Journalismus ist dabei allerdings eine Seltenheit; vielmehr plappern viele Medien - wie man schon als Laie erkennen kann - die gleichen Parolen und Leitsätze nach, und diese werden - so Müller - von angeblichen Experten, Politikern und Journalisten so oft wiederholt und zugespitzt, bis sie als einzige Meinung und unausweichliche Tatsache akzeptiert wird.
Sehr schön zeigt Müller dies an einzelnen Beispielen, etwa an den gewaltigen Umwälzungen der Rente. Hier wurde und wird seit Jahren der sogenannte demografische Wandel unserer Gesellschaft mit teils falschen, teils verkürzten Studien "belegt" und überdramatisiert, obwohl es sich um minimale Verschiebungen handelt, die seit dem berühmten Pillenknick nicht mehr sonderlich extrem ausfallen. Zugleich wurde die Rente immer weiter marginalisiert und dem Volk geraten, private Vorsorge durch sogenannte Riester-Renten zu betreiben. Cui bono, fragt da der aufmerksame Betrachter; und ist erstaunt, wenn er bemerkt, welch enormes Geschäft hier gewisse Versicherer machen und welch enorme Summen alle Steuerzahler zur Finanzierung der - keineswegs sicheren - Riester-Renten aufbringen müssen. Die finanziellen Begünstigungen mancher Politiker durch entsprechende Versicherungskonzerne passen da gut ins Bild. Müller zeigt aber auch, wie in den Medien die Notwendigkeit einer Riester-Rente in konzertierter Aktion dem Volk nahegelegt wurde, welche Experten sich in den Talkshows herumgetrieben und welche Leitartikler die Botschaft unter die Leser gebracht haben.
Nicht minder erschütternd sind Müllers Ausführungen zum Bologna-Prozess und der damit einhergehenden Reform des deutschen Studienwesens, dessen Folgen sich nun erst nach und nach zeigen. Auch hier haben Meinungsmacher mit fadenscheinigen Begründungen (und starken Eigeninteressen) die Kehrtwende eingeleitet und Politiker durch rigide Einsparungen im Vorfeld das alte Universitätssystem nahezu kaputtgespart. Dass von Bologna vor allem private Universitäten profitieren (und teuer vom Staat bezuschusst werden müssen) und Unternehmen immer größeren Einfluss auf universitäre Gremien bekommen haben, fiel dabei meist unter den Tisch. Kritische Berichterstattung findet nicht statt, und wenn, dann nur am Rande ... wenn das Kind längst in den Brunnen gefallen ist.
Dies sind nur zwei Beispiele aus Albrecht Müllers Buch, die es dem Leser kalt über den Rücken laufen lassen. "Meinungsmache" ist ein höchst brisantes Buch, und es öffnet einem an vielen Stellen die Augen, was angesichts uniformierter "Meinungsmache" nicht einfach ist. Kritisch anzumerken ist allerdings der manchmal zu schrille Ton, den er Autor anschlägt, und der zu sehr den empörten, verletzten Sozialdemokraten verrät. Etwas mehr stilistische Schärfe, vielleicht auch mehr theoretisches Geschick, hätte die Botschaft sicher noch eindrücklicher erscheinen lassen. So aber richtet sich das Buch dann doch nur an eine klar umrissene Zielgruppe - an den reformkritischen Teil der nun so arg gebeutelten SPD. Dabei wären viele Passagen von "Meinungsmache" es wert, von vielen gelesen und diskutiert zu werden, denn Müller reißt viele Probleme zur heutigen Medienkultur, Meinungsbildung und dem Journalismus an, die viel zu wichtig sind, um sie zu ignorieren. Ein trotz seiner Schwächen aufrüttelndes Buch, dessen Lektüre sich gerade nach der Wahl lohnt.