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Seit einiger Zeit erhält der belgische Meisterdetektiv Émile Poiret rätselhafte parfümierte Briefe, offenbar von eleganter Damenhand verfasst. Die Briefe enthalten jedoch zunächst nur vage Andeutungen. Als die Verfasserin dann konkreter wird, wittert Poiret einen neuen Fall. Bei einem geheimen Treffen in einem Spielcasino identifiziert der Meisterdetektiv die junge Cassandra Shelby als die anonyme Briefeschreiberin. Sie erhält ihrerseits seit einiger Zeit jeweils um Mitternacht Briefe eines „unbekannten Gönners“, in denen ihr riesige Geldbeträge geschenkt werden. Der Briefeschreiber ist jedoch offenbar ganz und gar kein Gönner, sondern im Gegenteil am Ableben von Mrs. Shelby interessiert: Mit dem letzten Brief, wenn Cassandra Shelby die Summe von einer Million Pfund erhalten haben wird, soll sie sterben …
Poiret macht sich an die Ermittlungen und kommt bald einem hinterhältigen Intrigenspiel auf die Spur.
„Briefe um Mitternacht“ ist der zweite Fall von Émile Poiret, geschrieben von Ascan von Bargen, unter anderem auch der Autor der Hörspielreihe „Dark Trace – Spuren des Verbrechens“. Der belgische Detektiv Poiret ist so unverkennbar ein vollkommenes Abbild von Hercule Poirot, der Romanfigur aus der Feder Agatha Christies, dass man schon nicht mehr von einer bloßen Hommage sprechen kann. Alles ist gleich – die gemütliche und absolut von sich überzeugte Art des Detektivs, sein Exil in England, der Running Gag, dass sowohl Poirot als auch Poiret des Öfteren mit Franzosen verwechselt werden, die Genusssucht, das herausragende detektivische Gespür.
Der Fall kann zumindest atmosphärisch auf jeden Fall überzeugen: Die eingängige Titelmelodie geht sofort ins Ohr, und auch ansonsten sind Hintergrundgeräusche und Musik treffend eingesetzt. Auch die Sprecher sind sehr gut ausgewählt. An Poirets sehr sonore Stimme (Donald Arthur), die oft komisch wirkt, muss man sich zunächst gewöhnen, dann lässt sie aber den charmanten belgischen Detektiv lebensecht vor dem inneren Auge entstehen. In den Nebenrollen brillieren die sehr bekannten Stimmen von Andreas von der Meden als Butler Otis und Gisela Fritsch als spröde Mrs. Leve’n. Nicht immer vermag Melanie Fouché in der Rolle von Cassandra Shelby zu überzeugen; das zu Tode verängstigte Verschwörungsopfer kauft man ihr zumindest teilweise nicht ab, weil sie einfach zu beherrscht und zu ruhig wirkt.
Die Auflösung des Falles um die mitternächtlichen Briefe ist durchwachsen. Sehr unlogisch und unnötig wirkt das schlichte Zu-spät-Kommen Poirets. Auch die Enthüllung der Zusammenhänge am Ende ist nicht völlig befriedigend für den Hörer, weil Poiret über Wissen verfügt, das an keiner Stelle vorher angedeutet wurde. Die Lösung des Falles wirkt dadurch wie ein Monolog Poirets, der jetzt auf einmal alle Details präsentiert, ohne dass vorher Spuren in diese Richtung gelegt wurden. Statt der wirklich ellenlangen Eingangsszene, in der Poirets Abneigung gegen die englische Kochkunst zum Ausdruck gebracht wird - diese Szene ist zwar komisch, aber eben auch viel zu lang! - hätte man hier mehr Wert auf den eigentlichen Fall legen sollen.
Fazit: Stimmung und Besetzung dieses Hörspiels gefallen sehr und sorgen dafür, dass man gespannt ist auf weitere Poiret-Fälle. Vor allem das Geplänkel zwischen Poiret und seiner Sekretärin und die Dialoge mit Otis sind witzig und treffend. Der Fall selbst überzeugt weniger, obwohl er vielversprechend und angemessen mysteriös beginnt. Ob Fans des Originals Hercule Poirot Gefallen am Abziehbild Émile Poiret finden, ist sicher Geschmackssache. Émile Poirets Ermittlungen werden fortgesetzt in Folge drei mit "Der Fluch der weißen Rose" und in Folge vier mit "Das Grab des Oliver Raymonds".