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Das Rollenspiel „Venetica“ ist in allererster Linie eine mutige Produktion. Mutig, weil sich die Entwickler Deck13 nach den beliebten Adventure-Spielen „Ankh“ und „Jack Keane“ zum ersten Mal an ein großes Rollenspiel wagen. Mutig, weil es im Umfeld zahlreicher hochwertiger Konkurrenzprodukte wie etwa „Risen“ oder „Dragon Age: Origins“ erscheint. Und mutig, weil es ein eigenwilliges Szenario bietet und auf sichere Genrekonventionen verzichtet. Denn weder stapft man in „Venetica“ durch ausgelutschte Fantasyreiche und legt sich mit Elfen und Drachen an, noch definiert man zu Beginn eine Charakterklasse der Marke Krieger oder Dieb.
Hauptfigur des Spiels ist Scarlett, eine unschuldige junge Frau, die mit ihrem Geliebten Benedict zusammen in den Bergen nahe der Stadt Venedig wohnt. Doch eines Tages wird ihr Dorf von finsteren Assassinen überfallen, und Scarlett muss sich zur Wehr setzen. Im Laufe des Kampfes wird Benedict getötet und Scarlett hat eine Vision von ihrem Vater – dem leibhaftigen Tod. Der weist sie an, sich nach Venedig zu begeben und sich dort dem Untoten Fürsten zu stellen, der mit seiner Nekromantie das Gleichgewicht der Welt bedroht. Ob Scarlett nun aus Rache für ihren Geliebten loszieht oder für die Gerechtigkeit, das kann man in den Dialogen selbst bestimmen – je nach Wahl gibt es dann nach 30 bis 40 Stunden Spielzeit auch ein minimal unterschiedliches Ende.
Aber wir sind ja noch am Anfang des Spiels, und da findet sich Scarlett zunächst sogar ohne richtige Klamotten wieder. Doch wie typisch für Rollenspiele gibt es schon bald den ersten Auftrag, der einen auf den langen Weg nach und durch Venedig führt. Vom Prinzip her erinnert „Venetica“ ein bisschen an die „Gothic“-Serie, schließlich fängt man auch hier mit einem eher schwachbrüstigen – na gut, sagen wir in diesem Fall lieber unerfahrenen – Charakter an, den man nach Levelaufstiegen im Laufe des Spiels in die gewünschte Richtung entwickeln kann, je nachdem, ob man lieber mit der Waffe zuhaut oder die Gegner mit Zaubersprüchen malträtiert. Schließlich hat Scarlett als die Tochter des Todes so manche spezielle Fähigkeit und kann Raben herbeirufen, ihren Feinden Lebensenergie absaugen oder – ihre wichtigste Kraft – in die Schattenwelt der Toten wechseln und dort mit Geistern reden oder sich an Gegner heranschleichen. In der Praxis ist die Magie jedoch kein Zweig, auf den man sich im Laufe des Spiels zu sehr spezialisieren sollte, denn im Endeffekt dienen diese Fähigkeiten nur als Unterstützung zum eigentlichen Kampf. Und da das Kampfsystem mit Schwert, Hammer und Speer eine Menge Spaß macht, ist das auch nicht weiter schlimm – letztendlich braucht man jedoch fast keine der Spezialfähigkeiten, um das Spiel selbst auf dem höchsten der drei Schwierigkeitsgrade durchzuspielen. Zusammen mit der sehr linear verlaufenden Story ist der Wiederspielwert dementsprechend gering.
Kämpfe sind in „Venetica“ weniger taktisch als actionlastig – hier sind vor allem Timing und Bewegung gefragt. Auf dem einfachen Schwierigkeitsgrad reicht zu Beginn noch simples Dauergeklicke auf den Gegner, dann schwingt Scarlett mit einfachen Links-Rechts-Hieben böse Assassinen sehr schnell tot. Auf Schwer rennt man jedoch bereits von Anfang an in eine Wand, wenn es gegen Feinde geht, schließlich blocken diese eigene Schläge teils mühelos ab und teilen heftige Konterattacken aus – da hilft es auch nicht viel, dass Scarlett ein paar Mal sterben darf, um kurz darauf aus der Schattenwelt heraus neu angreifen zu können, bevor das Spiel völlig verloren ist. Doch sobald man sich einmal an das Kampfsystem gewöhnt hat und Kombinationsangriffe, Paraden und Ausweichen geschickt kombiniert sowie die richtige Waffe für den richtigen Gegnertyp wählt, machen die Gefechte wirklich Laune. Zusammen mit der Fähigkeit Scarletts, ein paar Mal von den Toten aufzuerstehen, gerät das Spiel damit jedoch selbst in der schwierigsten Version schnell zum Spaziergang. „Venetica“ richtet sich damit vor allem an Rollenspiel-Einsteiger, da auch das Fertigkeitensystem erfahrene Spieler hemmungslos unterfordert.
Vor allem zu Beginn überzeugen jedoch der eigenwillige Stil des Spiels und die packende, emotionale Inszenierung, die den am Anfang gesetzten Standard aber nicht lange halten kann – wenn sich Scarlett und Benedict in der Schattenwelt zum fünften Mal in genau der gleichen Szene züchtig umarmen, ist bereits jegliche Emotion aus diesen Begegnungen gewichen. Dafür vermögen es die eindrucksvolle Architektur Venedigs und die unheimlichen Effekte der Schattenwelt, bis zum Ende des Spiels zu faszinieren. Das erfordert jedoch auch einen entsprechend starken Rechner, denn „Venetica“ verspeist selbst bessere Hardware zum Frühstück, sieht dafür aber mit runtergefahrenen Einstellungen auch nicht viel schlechter aus. Im Vergleich dazu macht die Grafik jedoch keinen äußerst prächtigen Eindruck - die Umgebungen und die Animationen sind stimmig, vor allem die Charaktere sehen jedoch regelrecht hässlich aus.
Eigentlich möchte man dieses Spiel ja wirklich mögen, doch letzten Endes trüben zu viele Kritikpunkte den Gesamteindruck. Die Story des Spiels ist zwar mit ihren professionellen Synchronsprechern und Dialogen gut erzählt, stellenweise sehr spannend und vor allem zum Schluss äußerst dramatisch, lässt aber einige Erzählstränge offen. Die Nebenaufträge haben teilweise verschiedene Lösungswege, wurden jedoch wie etwa im Falle der Banditenjagd im Inneren und Äußeren Bezirk Venedigs ganz dreist einfach dupliziert. Die Bosskämpfe sind fordernd, im Falle des Duells mit Hector aber mangels Übersicht und Hinweisen auf die Lösung überfordernd. Zudem nerven die Ladezeiten beim Übergang zwischen Gebäuden und Stadtteilen Venedigs.
Deck13 haben ein im Grunde gutes Spiel abgeliefert, dem man leider häufig ansieht, dass es der Produktion an Geld, Zeit und Erfahrung mangelte. Kopierte Nebenquests sind genauso unschön wie Bugs im Spiel (die hoffentlich bald durch den nächsten Patch ausgemerzt werden) und ein unausgegorenes Fertigkeitensystem. Und dennoch besucht man die Welt von „Venetica“ gerne, wegen ihrer sympathischen Hauptfigur, wegen des außergewöhnlichen Grafikstils und wegen der spaßigen Kämpfe. Es braucht halt ein bisschen mehr als nur Mut, aber wenn sich Deck13 richtig reinhängen, dann wird ihr nächstes Rollenspiel sicherlich ein echter Hit!