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Der abenteuerliche Simplicissimus ist eigentlich ein ganz armer Tropf - ein Kind, das in den Wirren des grässlichen dreißigjährigen Kriegs die Hinrichtung seiner Eltern, ja seines ganzes Heimatdorfs mit ansehen muss und anschließend von den Söldnern als Stiefeljunge mitgenommen wird, um sich fortan allein durchs Leben zu schlagen.
Dabei wird Simplicissimus nicht nur Zeuge größter Gewalt, sondern auch der allgegenwärtigen menschlichen Dummheit, die sich bei Bauern und Pfaffen, Fürsten und Kaufleuten, Königen und Kaisern gleichermaßen findet und nicht totzukriegen ist. Er selbst nimmt dabei rasch die Rolle des Narren und Tollpatschs ein, des "simplen Esels", dem niemand etwas zutrauen mag und der zugleich niemandem gefährlich scheint. Tatsächlich aber ist Simplicissimus ein scharfer Beobachter, der die Schwächen und Marotten seiner Mitmenschen haargenau erkennt und sie für sich und seinen Spaß zu nutzen weiß. Und durch die simplizistische Brille betrachtet ist das Grauen dieser Zeit gleich erträglicher …
"Der abenteuerliche Simplicissimus" gilt als einer der größten frühneuzeitlichen Klassiker der deutschen Sprache. Umso erstaunlicher ist es, dass Hans Jakob von Grimmelshausens Schlüsselwerk heutzutage so wenig gelesen wird - zu sperrig erscheint vielen die Lektüre der anspielungsreichen, in ihrem Wortschatz veralteten und durch Regionalia verfremdeten Sprache. Der Übersetzer Reinhard Kaiser hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, den Klassiker zu entstauben und ihn in einer modernisierten Fassung dem Publikum vorzulegen. So steht denn auch selbstbewusst auf dem Einband: "Aus dem Deutschen des 17. Jahrhunderts von Reinhard Kaiser". Und in der Tat, es ist eine - in weiten Teilen erstaulich eigenständige - Übersetzung des frühneuzeitlichen Texts. Kaiser komprimiert die Grimmelshausen‘schen Sätze, ersetzt veraltete Worte durch heutzutage gängige, merzt zahlreiche Latinismen aus und glättet manch krumme Wendung des Originals. Das Ergebnis ist zwiespältig. Einerseits ist dieser "Simplicissimus" ein wahrer Lesegenuss, er liest sich weg wie nichts und räumt dabei wohl jede Barriere beiseite, die dem zeitgenössischen Leser bislang den Zugang zu diesem komischen, klugen und vielschichtigen Werk versperrt hat. Zugleich büßt der Roman in der Kaiserschen Variante manches an Charme ein; viele Verklausulierungen und Umständlichkeiten, die in der "Übersetzung aus dem Deutsch des 17. Jahrhunderts" auf der Strecke blieben, machen den Witz und Ton der Vorlage aus, zumal diese (so man sie sich vornimmt) längst nicht so sperrig ist, wie Kaiser in diversen Interviews behauptet hat.
Als einzigartiges Übersetzungsprojekt hat Kaisers "Simplicissimus"-Übertragung durchaus seine Berechtigung, gerade wegen der vielen Freiheiten, die er sich nimmt. Dem einzig wahren und wahrhaftigen "Teutschen Simplicissimus" aus der Feder Grimmelshausens kann er jedoch nicht das Wasser reichen; zu glatt spült diese Fassung ans andere Ufer. Wem allerdings die Lektüre des Originals zu mühselig erscheint, hat jetzt keine faule Ausrede mehr; denn nie war der "Simplicissimus" so leichtherzig, frisch und urkomisch zu lesen wie jetzt. So oder so, lesen muss man ihn, wenn man nicht ein simplizistischer Banause bleiben will.