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In seiner Rubrik "Fragen Sie Marcel Reich-Ranicki" der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gibt Deutschlands bekanntester Literaturkritiker Antworten auf die literaturbezogenen Fragen von Lesern.
Manche dieser Fragen bereiten ihm Freude, manche ärgern ihn, andere provozieren ihn, einige sind von grundlegendem Interesse. Aus dem reichhaltigen Fundus hat er zahlreiche Zuschriften ausgewählt und in Kapitel geordnet, die entweder bestimmte Themen berühren oder in ihm gewisse Reaktionen ausgelöst haben.
Das Buch beginnt mit Fragen zu jenen Größen der Weltliteratur, denen auch Reich-Ranicki huldigt, darunter unter etlichen anderen Shakespeare, Kafka, Balzac und Eichendorff, John Updike, Patrick Süskind und Thomas Bernhard. Im zweiten Kapitel findet man "Fragen, die mich in Rage versetzten" – so etwa jene, ob Richard Wagners Texte auch ohne Musik auf der Bühne aufführbar seien, und wie der Adressat deren literarische Qualität einschätze. Auch reagiert Reich-Ranicki ungehalten, wenn man Kafka, der in deutscher Sprache schrieb, als tschechischen Autor bezeichnet.
Der nächste Abschnitt befasst sich mit "Fragen zu Büchern und Begegnungen, die mein Leben beeinflusst haben". Dies ist ein recht persönliches Kapitel, denn in der Tat schildert der Autor hier auch hochinteressante Begegnungen mit Autoren, ebenso aber seine Weise, in unterschiedlichen Lebensphasen auf Bücher zuzugehen.
Da Reich-Ranicki zu Recht als streitbar gilt, dürfte keinen seiner Leser wundern, dass es auch ein Kapitel zu jenen Fragen gibt, "die meinen Widerspruchsgeist wecken". So reagiert er recht fuchtig auf den Begriff "Frauenliteratur" und scheut sich vor Komparativen und Superlativen, wenn es um die Leistungen von Autoren im Vergleich mit anderen geht. Das abschließende Kapitel betrachtet Fragen, die sich mit "Fragen zu Wissenswertem quer durch die Weltliteratur" befassen. Darin spielen unter anderem um Tschechow und Klaus Mann, Bertolt Brecht und Dürrenmatt oder auch Stefan Zweig die Hauptrollen.
Über Literatur lässt sich wie über alle Bereiche der Kultur und Kunst trefflich streiten, und zu den interessantesten Streitern gehört, ob man ihn mag oder nicht, Marcel Reich-Ranicki.
Je nachdem, wie er eine Frage aufnimmt, antwortet er mit wahrer Verve oder spitzer Feder, ausführlich und engagiert oder knapp und bemüht beziehungsweise gereizt – oder auf jede erdenkliche Weise zwischen den Extremen. Den Literaturfreund kann das nur freuen, denn auf diese Weise erfährt er in komprimierter Weise enorm viel über die wichtigsten Autoren der Weltliteratur, wobei das Augenmerk bevorzugt auf den deutschsprachigen Autoren liegt.
Wer noch jung und gewissermaßen auf der Suche ist oder sich erst seit kurzer Zeit für anspruchsvolle Literatur interessiert, findet in diesem Buch eine Fülle wertvoller Anregungen; er kann sich geradezu einen Kanon zu lesender Autoren und Werke zusammenstellen. Doch sind die Beiträge differenziert und vielseitig genug, um auch Kenner der internationalen Literatur zu fesseln. Nicht zuletzt geht es ja keineswegs bloß um Goethe, Shakespeare und Balzac, sondern auch um die Frage, welcher "Wert" etwa Karl May oder Jules Verne zuzumessen sei.
Reich-Ranickis Antworten haben Biss, sie sind punktgenau und nicht immer das, was der Fragesteller erwartet haben dürfte, zumal dieser selbst gelegentlich aufs Korn genommen wird. Doch der Literaturkritiker lässt nie den Respekt für einen Autor beziehungsweise dessen künstlerische Leistung missen, eben nicht einmal in Bezug auf Karl May oder Hedwig Courths-Mahler, deren Werke er indes nicht unbedingt als gehobene Literatur bezeichnen würde.
Es bereitet Vergnügen, und es bildet wahrlich, dieses kompakte, adrette kleine Werk zu lesen. Die reizvoll aufgemachte, optisch ansprechende und inhaltlich, wie erwähnt, hochwertige und fesselnde Ausgabe eignet sich zudem vorzüglich als Geschenk. Ob man Reich-Ranicki mag oder nicht: ein höchst empfehlenswertes Buch!