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"Anna Karenina" gilt als Leo Tolstois bedeutendster Roman. Zusammen mit Werken wie Flauberts "Madame Bovary" und Fontanes "Effi Briest" befassen sie sich mit einem im 19. Jahrhundert äußerst pikanten Thema, dem Ehebruch durch Frauen.
Anna Karenina, bildschön, charmant, klug, selbstbewusst und seit etlichen Jahren mit einem langweiligen Beamten verheiratet, kommt von St. Petersburg nach Moskau, um ihren Bruder und dessen Gattin miteinander zu versöhnen, nachdem ihre Schwägerin dem Seitensprung ihres Mannes auf die Sprünge gekommen ist. Auf der Fahrt nach Moskau lernt sie den Grafen Wronskij kennen. Er, der nie eine feste Bindung beabsichtigt und gerade ein wenig mit den Gefühlen der jüngeren Schwester von Annas Schwägerin gespielt hat, verfällt der anziehenden Frau völlig. Anna setzt sich ihm und ihren eigenen Gefühlen gegenüber noch ein wenig zur Wehr, wird jedoch bald zu Wronskijs Geliebter.
Sie lebt diese Liebe relativ offen, und als sie von Wronskij schwanger wird, lässt sich die Liaison auch ihrem Mann und der Petersburger Gesellschaft gegenüber nicht mehr vertuschen. Ihr Mann möchte ihr, auch in seinem eigenen Interesse – schließlich gefährdet sie seinen Ruf mit -, noch eine Chance geben, aber seine Gesellschaft widert Anna nur noch an. Sie hat eine schwere Geburt und droht im Kindsbett zu sterben, was sie sich im Grunde sogar wünscht. Da sie im Angesicht des Todes hofft, ihr Seelenheil so zu retten, bekennt sie sich wieder zu ihrem Mann, worauf Wronskij einen Selbstmordversuch unternimmt.
Doch Anna wird wieder gesund, ihre Liebe zu Wronskij ist ungebrochen, und ihr Mann bietet ihr zunächst die Scheidung an. Als Anna und Wronskij allerdings nach einer Art Hochzeitsreise zurückkehren, hat Karenin seine Meinung geändert und verweigert die Scheidung.
Anna leidet unter der Ächtung durch die Gesellschaft und quält Wronskij mit zunehmend psychotischer Eifersucht. Es kommt zu einem Stadium, in dem die beiden weder miteinander noch ohne einander leben können. Wronskij weicht ihr aus und ist doch immer bereit, auf einen Wink von ihr zurückzukommen.
Als Anna schließlich überhaupt keinen Sinn mehr in ihrem Leben sieht, wirft sie sich vor einen Zug.
Die Qualität von Tolstois Roman lässt sich nicht bestreiten; seine Beschreibung der ehebrecherischen Liaison, damals ein Skandal – wenn auch fast ausschließlich für die beteiligte Frau – und der Reaktion der Gesellschaft darauf, die Anna Karenina in Depressionen treibt, ihre Liebe zerstört und sie schließlich zum Selbstmord nötigt, hat etwas letztlich Zeitloses, denn Ausgrenzung dieser Art, aus welchem Grund auch immer, gibt es heute ebenso und mit ähnlichen Folgen.
Tolstois umfangreichen Roman auf 268 Hörspielminuten zusammenzudampfen bedeutet natürlich eine Herausforderung. Andererseits bietet sich der Stoff gut für ein Hörspiel an, enthält der Roman doch viele starke Dialoge und Szenen, die sich bestens durch eine entsprechende Geräuschkulisse nachempfinden lassen.
Die Sprecher leisten ausgezeichnete Arbeit, allen voran Johanna von Koczian als anfangs fröhliche, charmante, dann immer mehr in Depressionen verfallende Anna Karenina, Hansjörg Felmy als leichtfüßiger, später von Annas Unglück angesteckter Wronskij und Walter Andreas Schwarz als Erzähler. Alle zusammen präsentieren ein authentisches Bild von der russischen Oberschicht des 19. Jahrhunderts – auf Bällen und in der Oper, bei privaten Empfängen und schließlich im familiären Rahmen. Musik- und Geräuschuntermalung unterstreichen Dialoge und geschilderte Szenen.
Das Hörspiel präsentiert sich wie aus einem Guss: schlüssig, ohne Brüche gleiten die Szenen ineinander. Wer den Roman kennt, bemerkt freilich doch, dass etwas fehlt. Denn das Original lebt von drei für sich unabhängigen, wenn auch miteinander verflochtenen Handlungssträngen, jenem um Anna und Wronskij, dem um ihren Bruder und seine Frau und jenem um die Schwester von Annas Schwägerin, die sich zunächst tief in Wronskij verliebt hat, dann aber doch noch zu einer wahren Liebe findet. Tolstoi hat hier drei sehr unterschiedliche Arten der Liebe herausgearbeitet und sich entwickeln lassen. Dies kommt im Hörspiel nicht zur Geltung. Umso mehr werden die fatale Liebe von Anna und Wronskij und die daraus vorläufig resultierende düstere Dreiecksbeziehung herausgearbeitet.
Insgesamt ein ausgesprochen gut gelungenes Hörspiel mit ausgezeichneten Sprechern und einer Untermalung, die genau das richtige Maß findet!