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„Ich war eine Ratte!“ ist das einzige, was der kleine Junge sagt, der vor der Tür von Bob und Joan steht. Der alte Schuster und seine Frau haben keine Kinder und nehmen sich der kleinen, offenbar verwirrten Gestalt dankbar an. Sie versuchen bei der Polizei, den Behörden, sogar im Krankenhaus herauszufinden, wohin er gehört oder was sie mit ihm machen sollen. Niemand fühlt sich zuständig, keiner vermisst ein Kind. So bringen Bob und Joan den etwa Achtjährigen bei sich unter, müssen aber feststellen, dass er wirklich etwas von einer Ratte hat. Zumindest seine Neigung, alles anzuknabbern und zu zerfetzen ist eindeutig nicht normal für einen Jungen.
In der Schule verprügelt man ihn, weil man sein naives Unverständnis für Frechheit, ja Tollheit hält. Die Polizei denkt, er wäre ein unverbesserlicher Verbrecher und selbst der Hofphilosoph des Königs stellt nur fest, dass Roger, wie ihn Bob und Joan nennen, zurückgeblieben und nicht mehr erziehbar ist.
Dann aber hört ein Schausteller von dem Jungen, der halb Ratte, halb Mensch sein soll. Er hofft, ihn auf Jahrmärkten als Monster ausstellen zu können und begibt sich auf die Suche nach Roger. Und der ist leider zu jedem Menschen freundlich und folgsam und ahnt nicht, dass ihm nicht jeder Mensch nur Gutes tun will.
1999 schrieb Philip Pullman „I Was A Rat“. Die kleine Geschichte des Rattenjungen kann man seit Oktober 2009 in ungekürzter Form auch als Hörbuch erwerben. Der wohl meistbeschäftigte Sprecher in Deutschland nahm sich dieser Geschichte an und bringt sie in seiner unverwechselbaren Art dem Hörer dar. Rufus Beck krächzt, jauchzt, wispert und erzählt, dass es die reine Freude ist.
Die Geschichte selbst aber braucht lange, um zu überzeugen. Das Schicksal des Jungen ist geruhsam erzählt, macht zunächst wenig her und ähnelt nicht mal in Anklängen einer Fantasy-Geschichte, wie es der Titel vielleicht vermuten lässt.
Erst das letzte Drittel überzeugt völlig. Hier stimmen Tempo, Dramatik, Witz und Spannung. Auch Beck, der am Anfang eher Beck denn der kleine Rattenjunge ist, läuft zu großer Form auf. Kaum aber ist man rundum zufrieden, ist die kurze Geschichte auch schon zu Ende. Happy End ohne lange Erklärungen und Moral.
Allenfalls hintergründig fällt die Pullmann'sche Kritik an unserer Gesellschaft, der Macht der Presse und dem Willen des Volkes auf – meist lässt er einfach nur die Naivität eines völlig unschuldigen Kindes an der Ignoranz seiner Mitmenschen auflaufen und abprallen. Wären nicht die liebenswerten Figuren Bob und Joan, das Buch und Hörbuch strotzte nur so vor unsympathischen und ekelhaften Charakteren.
Die Einspielungen der Zeitungstexte sind weniger gelungen, der Halleffekt und der marktschreierische Ton Becks in dieser Hinsicht wenig überzeugend – hier fehlen die Illustrationen des Buches deutlich.
„Ich war eine Ratte“ ist eine kleine, nette und wenig aufregende Geschichte über kindliche Unschuld und den leicht verführbaren Volkswillen - und ganz nebenbei eine herrliche Persiflage und Hommage auf viele bekannte Märchen- und Kindergeschichten. Hier aber kommt die Fee, die Wünsche erfüllt, nicht ganz so gut weg, weil hinter den Wunsch geblickt wird und die Folgen desselben in Augenschein genommen werden.
Dieser Teil der Geschichte ist Pullman außerordentlich gut gelungen, nur für Kinder ist dies nicht oder nur kaum erkennbar. Hier haben Erwachsene deutlich mehr von dem Geschehen und wissen den besonderen Humor des Autors eher zu schätzen.
Wer eine absonderliche Geschichte über die Folgen eines Wunsches nach Glück und Liebe hören will, sollte sich „Ich war eine Ratte“ anhören – über zwölf Jahre alt sollte man aber schon sein, sonst ist es um das Verständnis der hintergründigen Geschichte schlecht bestellt.