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Der Krieg ist vorbei. Eigentlich ein Grund zum Feiern. Doch Ismene ist nicht nach Feiern zu Mute. Der König, ihr Onkel Machaon, ist zurückgekehrt. Ismenes Vater aber ist gefallen und ihre Mutter nahm sich daraufhin das Leben. Damit hat Ismene keinen vertrauten Menschen mehr in ihrer Umgebung. Und so kämpferisch stark, wie der Onkel seine Feinde behandelt hat, herrscht er nun wieder in Mykenae. Alles ist plötzlich verboten: Lachen, Tanzen, Singen und sogar Laufen darf Ismene nicht mehr, ohne dass es empfindliche Strafen nach sich zieht. Wie sehr wünscht sich das zwölfjährige Mädchen ihren geliebten Bruder herbei, den zweiten König von Mykenae. Doch als dieser endlich eintrifft, wendet sich nichts zum Guten. Alles wird schlimmer für Ismene, denn er schickt sie nach Kreta, im Austausch für seine neue Braut. Ismene fügt sich in ihr Schicksal.
Auf Kreta angekommen, kommt sie aus dem Staunen nicht mehr heraus. Alles ist anders: Der Palast von Knossos erscheint ihr wie eine verkehrte Welt. Hier haben nicht die Männer das Sagen. Den Frauen obliegt die Oberhoheit über Land und insbesondere die Religion. Die Mädchen werden gleichberechtigt mit den Jungen erzogen und genießen dieselben Bildungsmöglichkeiten. Ismene kann sich aber trotz aller Vorzüge und Annehmlichkeiten, die ihr das Leben im Palast des Minos bietet, nicht dazu entschließen, wirklich aus freien Stücken dort zu bleiben. Doch dann bringt der junge Prinz Glaukos ihr einen Beweis seines Vertrauens. Sie darf am jährlichen Staffellauf zu Ehren der Großen Göttin teilnehmen. Dabei muss sie nur eine brennende Fackel ein Stück tragen. Ausgerechnet als Ismene die Fackel in Händen hält, bricht aber ein verheerendes Unwetter mit sintflutartigen Regengüssen über Kreta herein. Zürnen ihr die Götter? Sie hätten dafür viele Gründe. Wenn aber das Feuer der Fackel erlischt, dann gibt es keine Hoffnung mehr für Kreta. Wird Ismene diese unmenschliche Bürde tragen können und nicht nur Kreta, sondern auch ihre Heimat vor schlimmem Übel bewahren können?
Das Feuer von Kreta erschien bereits im Jahre 1999 und wurde nun vom Thienemann Verlag neu aufgelegt. Und wie man noch sehen wird, ist das zentrale Thema der Erzählung nach wie vor aktuell. Gabriele Beyerlein lässt in diesem Buch eine lange vergangene Zeit auferstehen. Die minoischen Paläste von Kreta erblühten vor über 3.500 Jahren. Lebendig schildert sie das Leben, wie es hätte sein können. Doch steht nicht die Historie im Mittelpunkt. Dramatischer gestaltet sich Ismenes Zusammentreffen mit einer ihr völlig fremden Welt. Nicht nur, dass ihre Glaubensgrundsätze völlig verschieden sind, auch das alltägliche Leben bereitet ihr Probleme. Vieles versteht sie nicht und obwohl fast alles besser ist als bei ihr zu Hause, steht sie diesen Dingen zunächst ablehnend gegenüber. Erst im Laufe der Geschichte findet sie sich immer besser in ihrer Rolle als Vermittlerin zwischen den Völkern zurecht. Zentrales Thema sind die zwischenmenschlichen Beziehungen bei den zunächst Fremden. Die Spannung der Erzählung baut hauptsächlich auf den Gegensätzlichkeiten auf, die bei dem Versuch Ismenes entstehen, ihren Kulturschock zu überwinden. Insofern könnte dieses Thema in jeder Zeit angesiedelt sein, auch in der Jetztzeit. Die Autorin flicht aber viele Dinge ein, die bruchstückhaft aus dieser vergangenen Zeit überliefert sind. Da findet sich eine sehr detaillierte Beschreibung der Schlangengöttin wieder, wenn auch in einem anderen Kontext als man es erwarten könnte. Auch die beschriebenen Gebäude und Fresken fußen auf Ausgrabungsergebnissen. Jedoch weist sie in einem ausführlichen Nachwort darauf hin, dass der Großteil der Handlung frei erfunden ist und viele Dinge anders interpretiert werden können, als sie es getan hat.
Fazit: Ein spannender Roman über eine frühe Zeit in Europa. Trotz aller Fiktion – so hätte es sein können. Der Zusammenprall und die friedliche Aussöhnung der Kulturen ist jedoch zeitlos und nach wie vor aktuell. Gerade deshalb auch ohne historischen Kontext ein lesenswertes Buch.