"Der Große Sprung nach vorn" war Mao Zedongs irrwitziger Plan, im Hauruckverfahren das bäuerlich geprägte China zu einer industriellen Supermacht zu erheben. Statt der traditionellen Landwirtschaft sollten auch auf dem Land kleine Stahlwerke erbaut und so die Stahlproduktion auf einen neuen Spitzenwert katapultiert werden. Die Folge dieses ideologisch irrwitzigen und dilettantisch vorbereiteten Vorhabens war eine der größten Katastrophen in der jüngeren Geschichte Chinas: statt überlebenswichtiger Lebensmittel produzierten die Bauern nun Tonnen minderwertigen Stahls. Dies führte zu einer entsetzlichen Hungerskatastrophe, die zwischen 20 und 40 Millionen Chinesen das Leben kostete. Wer gegen den "Großen Sprung nach vorn" aufbegehrte oder ihn zu kritisieren wagte, wurde rasch als "Rechtsabweichler" gebrandmarkt und landete in dem berüchtigten Umerziehungslager Jiabiangou.
Dieses Lager lag mitten im Zentrum eines Mangelgebiets, in dem die Hungerskatastrophe unzählige Opfer forderte. Über Jahre hinweg wurden hier die Rechtsabweichler gefangengehalten und de facto dem Hungerstod preisgegeben. Erst drei Jahre nach Eröffnung des Lagers, im Jahr 1960, wurden sie rehabilitiert. Doch die meisten waren längst gestorben.
Der Schriftsteller Yang Xianhui hat sich zur Aufgabe gemacht, die entsetzlichen Vorgänge der Jahre 1957-1960 zu recherchieren. Er hat mehrere Interviews mit den Überlebenden von Jiabiangou geführt. Es sind ergreifende Geschichten, die erahnen lassen, welch katastrophale Umstände in Jiabiangou herrschten und wie aussichtslos die Lage der "Rechtsabweichler" war. Gequält durch harte und brutale Arbeit bei stets sinkenden Essensrationen, ständig gezwungen, sich durch kleine Diebstähle am Leben zu erhalten, vegetierten sie in der Einöde des Lagers vor sich hin. Gegessen wurde alles, was ihnen in die Finger kam; Gräser, Leder, Gemüseabfälle, Erbrochenes, in Einzelfällen sogar Leichen. Die Toten wurden in Massengräbern verscharrt, die Angehörigen über die wahren Verhältnisse getäuscht. Ergreifende Szenen spielten sich in Jiabiangou ab; wie sich Menschen in solchen Notsituationen organisieren, wie der Überlebenskampf mal zu Verrat, Niedertracht und Feigheit, mal zu berührender Mitmenschlichkeit und Fürsorge führt, wird keinen Leser kalt lassen. Und immer wieder verzweifelt man an der Sinnlosigkeit der damaligen Vorgänge, zumal viele der sogenannten "Rechtsabweichler" eigentlich glühende Anhänger Maos waren, die durch Intrigen, politischen Starrsinn der Führungskader oder marginale Vergehen in das Umerziehungslager gelangten.
Ein Buch, dass einen in die dunkelsten Tage der chinesischen Revolution entführt, das Fragen der Menschlichkeit und menschlichen Würde aufwirft und jeden Leser bewegt.