Das Frühchristentum stellt Geschichtswissenschaft und Theologie immer wieder vor Rätsel. Wie konnte eine unbedeutende religiöse Bewegung, eine Splittergruppe des Judentums, in so kurzer Zeit eine so weite Verbreitung finden und am Ende gar die heidnische Staatsreligion von Rom ablösen? Was machte diese neue, ethisch radikale Sekte so faszinierend, und welche gesellschaftlichen Bedingungen begünstigten ihren Aufstieg?
Zu diesen Fragen ist sicherlich eine Menge geforscht und geschrieben worden, sowohl von der christlich orientierten als auch von der bibelkritischen Wissenschaft. Ein neuer Sammelband aus dem Fischer-Verlag vereint diesmal verschiedene Forschungsrichtungen, um die Anfänge des Christentums aus aktueller Sicht zu beleuchten. Herausgeber des knapp 500 Seiten starken Buchs sind der Theologe Friedrich Wilhelm Graf und Klaus Wiegandt, Vorsitzender der Stiftung "Forum für Verantwortung", die sich für Nachhaltigkeit im Denken und Handeln einsetzt. "Die Anfänge des Christentums" ist dabei das Ergebnis eines Colloquiums der Stiftung; in mehreren Beiträgen widmen sich Wissenschaftler mehrerer Disziplinen den brennenden Fragen nach den ersten Jahren der christlichen Religionsgemeinschaft. So wirft die Theologin Annette Merz einen neuen Blick auf die historische Jesusforschung, Thomas Söding schreibt eine Doppelbiographie der Apostel Paulus und Petrus, die als eigentliche Religionsgründer anzusehen sind, und der Altphilologe Hubert Cancik zeigt auf, wie das Christentum zur Staatsreligion des krisengeschüttelten Römischen Weltreichs werden konnte.
Es handelt sich jeweils um pointiert geschriebene, auch für Laien sehr verständliche Kurzessays, die nicht den gesamten Forschungsstand referieren wollen, sondern - auf hohem Niveau - in die jeweilige Debatte einführen und neue Denkansätze einbringen ... vermutlich deshalb, weil sie ursprünglich als Reden oder Vorträge konzipiert waren, die sich lockerer lesen als ein Fachaufsatz. Dies macht das Buch auch für jene Leser interessant, die sich der komplexen Thematik erstmalig nähern, zugleich aber einen gewissen Anspruch erwarten.
Zwar merkt man der Aufsatzsammlung an, dass hier größtenteils Theologen und gläubige Wissenschaftler schreiben, dennoch wirken die Essays kritisch und fundiert. Vor allem die Breite der angesprochenen Themen, von der frühchristlichen Urkirche bis zur frührömischen Staatskirche, vom Missionsgedanken bis zur neutestamentarischen Schriftwerdung, überzeugt und macht das Buch für alle, die sich für die historische Entstehung des Christentums interessieren, zu einer echten Empfehlung.