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Siegfried Lenz hatte auch mit Romanen Erfolg, man denke an seine "Deutschstunde", doch gilt er als Meister der Kurzprosa schlechthin. Von den über 150 Kurzgeschichten, die er bislang verfasst hat, sind acht in einem aparten kleinen Band des Verlags Hoffmann und Campe erschienen.
Hierzu gehören Geschichten, die sich mit dem Thema Diktatur befassen – das in Lenz' Schaffen eine zentrale Rolle spielt –, ebenso wie solche, die Wendepunkte im Leben ganz "normaler" Bürger schildern oder auch, wie die bekannte Erzählung "Das Wunder von Striegeldorf", mit feinsinnigem Humor die Absurditäten des Lebens darstellen. Freilich kann dieser Humor, etwa in "Lieblingsspeise der Hyänen", auch in blanken Zynismus umschlagen, ohne dass der Autor je auf Tiefe und Vielschichtigkeit verzichtet.
Die Geschichte, die für den Titel Pate gestanden hat, gehört ebenfalls zu den Höhepunkten der Literatur der kleinen Formen. Wie in anderen Lenzschen Erzählungen auch, bietet hier ein scheinbares Ende die Chance zu einem Neuanfang ohne Altlasten.
Wenngleich der zeitgeschichtlich sensibilisierte Leser wohl vor allem jene Geschichten als besonders fesselnd empfinden wird, die sich mit dem Leben in Diktaturen beschäftigen, so zum Beispiel "Ein Freund der Regierung", zeigt die kluge Auswahl der in dem hier besprochenen Band präsentierten Geschichten, dass Lenz ein wesentlich breiteres Spektrum an Themen bereithält. Sehr sensibel geht er auf schmerzliche Grenzerfahrungen ein, etwa, wenn eine Familie mit einer alkoholabhängigen Ich-Erzählerin den sechsten Geburtstag des Sohnes vorverlegt, um ihn überhaupt begehen zu können – das Kind ist leukämiekrank, ohne Hoffnung auf Heilung.
Der "kleine Mann" tritt bei Lenz ganz stark in Erscheinung, so der Jude Wilhelm Heilmann, der in "Der Verzicht" seine Fluchtmöglichkeiten nicht ausnützt, als ihn ein schwer magenkranker Bevollmächtigter abholt, um ihn in ein Lager einzuliefern. Aber auch die Ohnmacht des gesunden Menschenverstandes gegenüber einer unerbittlichen, keiner Logik zugänglichen Obrigkeit gehört zu Lenz' großen Themen, etwa in der bekannten Erzählung "Ein Kriegsende", in der die Besatzung eines Kriegsschiffes gegen einen sinnlosen und lebensbedrohenden Einsatz meutert und die beiden Anführer der Meuterei trotz der schon erfolgten Kapitulation Deutschlands von nach wie vor willfährigen Verfechtern des bereits zerstörten Nazi-Regimes erschossen werden.
An eine weitere Größe des deutschen Literaturbetriebs richtet sich die letzte Kurzgeschichte dieses Buchs ganz explizit: an den berühmten Kritiker Marcel Reich-Ranicki, und auch sie, scheinbar primär auf Unterhaltung ausgelegt, offenbart selbstverständlich bei näherem Hinsehen eine überraschende Vielschichtigkeit.
Ohne Sentimentalität, wenngleich bisweilen mit ihr kokettierend, mit scharfem, aber letztlich teilnahmsvollem Blick die Protagonisten zeichnend, stets in schlicht-elegantem Stil, anschaulich und den Leser, selbst wenn dieser die dargestellten Zeiten und Landschaften überhaupt nicht kennt, in seinen Bann ziehend, schreibt Lenz an gegen Duckmäusertum und Gleichgültigkeit und bricht eine Lanze für das Individuum, das an einem Scheideweg steht und daran zu zerbrechen droht.
Das so scheinbar einfach wie liebenswert aufgemachte Buch bietet dem Leser, insbesondere Lenz-Neulingen, eine interessante und aufschlussreiche Möglichkeit, diesen bedeutenden Autor der Nachkriegszeit kennen und schätzen zu lernen.