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Alice Butler arbeitet für eines der coolsten und hippsten Unternehmen in der Spielzeugbranche – PopCo ist der drittgrößte Spielzeughersteller der Welt und rekrutiert nur die besten und kreativsten Köpfe. Alice, die sich schon immer brennend für Mathematik und für Kryptografie interessiert hat, entwickelt für PopCo unter anderem Sets, mit denen Kinder auf spielerische Art eigene kleine Codes entwickeln und knacken können.
Bei einem ausgedehnten Wochenende treffen sich die PopCo-Mitarbeiter zu einem Kreativ-Meeting auf dem Landsitz des Geschäftsführers. Für Alice birgt das Wochenende ein überraschendes Angebot: Gemeinsam mit einem kleinen, feinen Kreis von ausgewählten Kollegen soll sie die nächsten paar Wochen auf dem Landsitz verbringen und das ultimative Produkt für junge Mädchen entwickeln. Eine großartige Chance, doch plötzlich ist Alice sich nicht mehr sicher, was sie von PopCo und den teils fragwürdigen Methoden des Unternehmens halten soll. Dann erhält sie auf einmal anonyme Zettelchen mit verschlüsselten Nachrichten. Wer schickt ihr die codierten Botschaften – und warum die Heimlichtuerei?
"PopCo" ist trotz des jüngeren Erscheinungsdatums ein etwas älterer Roman von Scarlett Thomas, die zuletzt mit ihrem großartigen Buch
"Troposphere" von sich reden machte. "PopCo" erschien bereits 2004 und es tut dem Roman nicht gut, dass er erst jetzt, sechs Jahre nach seiner Veröffentlichung, auf Deutsch erscheint – doch der Reihe nach.
"PopCo" beginnt als leichtfüßig und intelligent geschriebene Geschichte über die Macht von Marken und Marketing, über Großkonzerne, Globalisierung, Lüge, Ethik, Coolness, Trends und Schein & Sein. Alice Butler, die junge Protagonistin, ist relativ unkonventionell, lehnt Markenklamotten und Fernsehen fast schon störrisch ab, und vor allem hat sie eine außergewöhnliche Vergangenheit: Ihre Großmutter war eine berühmte Mathematikerin, ebenso wie ihr Großvater, der sich Zeit seines Lebens für Rätsel, Codes und Verschlüsselungen interessierte und seine Enkelin ebenfalls früh für Kryptografie und Kryptoanalyse begeisterte. Alice wuchs bei ihren Großeltern auf, nachdem ihr Vater von einem auf den anderen Tag spurlos verschwand und die Zehnjährige zurückließ - anscheinend auf der Suche nach einem Schatz, zu dessen Schatzkarte Alices Großvater den komplex verschlüsselten Zugang besaß, ihn aber nicht preisgeben wollte. So mischt Scarlett Thomas in die Geschichte über Markenwahn und Marketing-Mechanismen clever diverse Ausführungen über Zahlen, Codes und bahnbrechende mathematische Formeln.
In "PopCo" klingen bereits einige Themen an, die Scarlett Thomas in "Troposphere" viel ausführlicher verarbeitet hat, zum Beispiel ihre Faszination für Homöopathie und Gedankenexperimente. Der Roman beginnt ungeheuer interessant, und sofort muss man unbedingt wissen, was es mit dem mächtigen PopCo-Konzern auf sich hat, mit den Zettelbotschaften, die Alice von einem Unbekannten erhält, und mit dem sagenhaften Schatz – hängt das etwa alles zusammen? Mittendrin verzettelt sich Thomas allerdings irgendwie und nimmt das Tempo gehörig raus, so dass die Handlung sich bald etwas zieht. Die Pointe am Ende wirkt enttäuschend in Hinblick darauf, was Scarlett Thomas alles an spannenden und hintergründigen Hinweisen und Plot Twists ein- und aufgebaut hat.
Wie oben bereits geschrieben, tut es dem Buch überhaupt nicht gut, dass es erst jetzt auf Deutsch erschienen ist, denn was im Roman als neu und aufregend und bahnbrechend gefeiert wird, war vielleicht 2004 noch gerade eben up to date, aber heute ringt es dem Leser nur ein müdes Lächeln ab (oder zumindest der Zielgruppe, an die sich das Buch richtet – wer noch nie von Computerspielen und virtuellen Welten gehört hat, der darf natürlich staunen). Thomas lässt Alice mit einer Naivität über manche Dinge denken, die man dieser intelligenten Figur einfach nicht abkaufen kann, selbst wenn sie eine Außenseiterin ist. Wenn Alice zum Beispiel einen Arbeitskollegen fragt, was nochmal ein Veganer is(s)t und der dann seufzend bekennt, als Veganer wäre man ein ziemlicher Außenseiter und würde schräg angeguckt, dann fragt man sich, ob das Buch nicht eher 1994 als 2004 spielen soll. Auch wenn die Belegschaft andächtig staunt, weil es auf dem luxuriösen Anwesen des PopCo-Chefs WLAN gibt (oh Wunder der modernen Technik!), dann wirkt das vollkommen unglaubwürdig. Und die Idee, dass virtuelle Produkte in virtuellen Welten für echtes Geld verkauft werden (was wieder unglaubliches Staunen hervorruft), kann in Zeiten, in denen WoW fast schon wieder out (und Second Life definitiv wieder out ist), niemanden mehr vom Hocker reißen. Die Pointe des Ganzen enttäuscht wie gesagt ziemlich und wirkt vor allem nicht gut durchdacht und insgesamt ziemlich naiv, aber nicht angemessen für ein so gut aufgebautes und auch witzig, sehr einnehmend und intelligent geschriebenes Buch. Spätestens, wenn zwei Personen etwas weltfremd die Wunder des Sozialismus preisen (wenn auch nur in einem Satz), fühlt man sich irgendwie im Stich gelassen vom Plot.
Schade, eigentlich könnte "PopCo" ein ganz großartiger Roman sein – nur leider beginnt er nur extrem gut und flacht dann zusehends ab. Das idealistische Ende wird manchen Lesern sicher gefallen, zeigt aber nicht im Ansatz, zu was Scarlett Thomas schriftstellerisch fähig ist. Daher sei an dieser Stelle unbedingt
"Troposphere" empfohlen!