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Die Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik tagt einmal jährlich über vier Tage hinweg und erläutert die neuesten Entwicklungen im schulischen Bereich, sowohl was die Lehrerausbildung angeht als auch die neusten didaktischen und methodischen Trends. Die Jahrestagung 2009, die in Dresden stattgefunden hat, steht unter dem bedingt irrigen Titel "Entwicklung naturwissenschaftlichen Denkens zwischen Phänomen und Systematik". Irrig ist der Titel deshalb, weil diese Sammlung von Aufsätzen beziehungsweise Vorträgen viel mehr beinhaltet als nur das angesprochene Themengebiet.
Die Dokumentation umfasst sieben Teile. In drei Plenarvorträgen werden grundsätzliche Aspekte des naturwissenschaftlichen Unterrichts erörtert. Susanne Prediger erläutert empirische Befunde und Konsequenzen zum Lernen von Mathematik als Mittel zur Beschreibung von Welt; Markus Rehm stellt eine Möglichkeit der Modellierung einer Kompetenz des naturwissenschaftlichen Verstehens vor; und Erich Starauschek vermittelt zwischen der physikalischen Sachstruktur und ihrem Einfluss auf das Lernen von Physik.
Die weiteren Teile dieses Bandes gliedern sich in die Vortragsblöcke, die während der Fachtagung gehalten wurden und einer Reihe von Postern, die auf einem so genannten Postersymposium ausgestellt worden sind. Die Vielfalt der verschiedenen Themen ist erstaunlich. Diese reichen von der Vorstellung neuer Lernmedien sowohl für Schüler als auch für Studenten über neuartige Lernlabore beziehungsweise neue Forschungsergebnisse aus altbekannten Lernlaboren, über Forschungsergebnisse zum Vorwissen von Schülern zu bestimmten Themenaspekten zur Lehrerausbildung in den Fächern Physik und Chemie im Allgemeinen, und – dies ist sehr deutlich zu merken! – mit zentralen Aspekten auf der Sprachvermittlung, beziehungsweise der Verbindung zum Deutschunterricht.
Es ist sinnlos, ein Buch mit weit über 100 verschiedenen Vorträgen generell zu kritisieren, zumal selbst versierte Rezensenten nicht von all den Themen Ahnung haben dürften, die hier besprochen werden. Viel wichtiger also ist hier, die Bedeutung des Themas zu unterstreichen und warum dieses Buch nicht nur für Fachdidaktiker, sondern auch in der Breite für Lehrer, Studenten, aber auch Eltern interessant ist.
Ein zentraler Aspekt, der diesem Buch eine breitere Leserschaft bieten sollte, ist immer noch die sprachliche Kluft zwischen Eltern und Lehrern, die vor allem den Eltern anzulasten ist. Wer sich diesen Band durchliest, wird feststellen, wie komplex Unterrichtsgeschehen und eine gute (Schul-)Ausbildung sein können. Ein wesentlicher Punkt bei der guten Schulausbildung ist eine gute Kommunikation zwischen Lehrern und Eltern, und das muss nicht heißen, dass sich die Lehrer immer auf das Niveau der Eltern hinab begeben, sondern dass Eltern auch mal versuchen, sich auf das Niveau der Fachlehrer hinauf zu denken (diese Schelte, die ich mir hier gestatte, gebe ich nicht als Lehrer, sondern als betroffenes Elternteil). Zugegeben gibt es Bücher, die grundlegender in die Fachdidaktik von Physik und Chemie einführen, aber nichtsdestotrotz sind viele der Artikel so gut geschrieben, dass man sie mit ein wenig Nachdenken und Nachvollziehen verstehen kann.
Ein zweiter Tenor in diesem Buch geht ebenfalls in den Bereich gesellschaftlicher Schelte, wenn auch nicht mehr direkt aufs Elternhaus, und das ist der der sprachlichen Entwicklung. Es ist nicht nur so, dass den Jugendlichen heute die fachsprachlichen Wörter fehlen, sondern grundlegender fehlen ihnen differenzierte Kommunikationsstrukturen beziehungsweise differenzierte Textmuster. Diese zu vermitteln kann nicht Aufgabe von Physik und Chemie sein, sondern findet von klein auf in der Gesellschaft und in der Familie statt. Zwar geht dieses Buch, und das ist einer der Kritikpunkte an der Gesamtheit der Aufsätze, auch auf das Problem von Jugendlichen mit Migrationshintergrund ein. Jedoch sind wesentliche naturwissenschaftliche Textmuster, wie zum Beispiel die Beschreibung oder die Erörterung, keine hervorragenden Merkmale der deutschen Sprache, sondern sind in allen Sprachen zu finden, die eine gewisse Komplexität erreichen. Deshalb wäre in Zukunft besser und genauer zu untersuchen, wie sich die natürlich entwickelnden vor-naturwissenschaftlichen Beschreibungen bei Kindern migrantischer Herkunft für den fachwissenschaftlichen Unterricht nutzen lassen. Die Tagung schlägt einige Brücken. Trotzdem muss man, unter dem Stichpunkt der Narrationsforschung, hier weit intensiver in die sprachlichen Strukturen hineingehen, als dies mit einer Klage über den fehlenden Wortschatz möglich ist. Auf der anderen Seite muss sich hier die Gesellschaft einklinken und den Kindern und Jugendlichen mehr Möglichkeiten zum "naturwissenschaftlichen Erzählen" und zu sachlich fundierten Textmustern bieten.
Einen weiteren Leitfaden dieses Bandes bilden die verschiedenen Lernorte. Längst ist die Schule, zu Recht, als Lernort für naturwissenschaftliche Kompetenz nicht mehr in der Monopolstellung. Außerschulische Lernorte werden zunehmend thematisiert, und müssen zunehmend, von der anderen Seite, der Familie, der Politik und der Wirtschaft, didaktisiert werden. Die Wirtschaft hat bewiesen, dass sinnvolle Lernansätze in Firmen realisiert werden können; einzelne Aufsätze zeigen hier wichtige Wege auf, wie dies geschehen kann. Sieht man sich allgemein in der Gesellschaft um, dann muss man allerdings konstatieren, dass dies zu wenig geschieht. Hier ist zu wünschen, dass das, was die Fachdidaktiker in diesem Buch vorstellen, stärker in der Gesellschaft aufgenommen wird, durch den eigenen Willen, aber auch durch politische Beförderung.
Fazit: Dieses umfangreiche Buch bietet vielfältige und fundierte Anregungen nicht nur für die Didaktik der Chemie und Physik, sondern auch für interdisziplinäres Arbeiten und Unterrichten, und darüber hinaus auch wichtige Impulse für die gesellschaftliche Entwicklung. Deshalb ist diesem Buch eine breitere Leserschaft zu wünschen, sowohl bei Eltern als auch bei verantwortungsbewussten Arbeitgebern und Politikern, denn letzten Endes erweist sich die Qualität eines Buches nicht nur daran, ob es gut geschrieben worden ist, sondern ob es auch qualitativ hochwertig umgesetzt werden kann. Inhaltlich ist das Buch hervorragend; die praktische Umsetzung aber kann nicht Aufgabe des Buches sein.