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Kevin Broom ist ein eigenbrötlerischer Sammler von Nazi-Devotionalien. Mehr als letztere Passion trägt zu seinem eher einsamen Leben bei, dass er unter einem seltenen Gendefekt leidet, der zu einem für seine Mitmenschen sehr unangenehmen Körpergeruch führt. Als Kevin im Auftrag seines Chefs die Wohnung eines Privatdetektivs aufsucht, findet er zwar den Detektiv an seinem Schreibtisch vor, allerdings ist dieser tot, offenbar erschossen.
Eine hastiger Gang zum Kühlschrank – eigentlich will Kevin nur einen Eiswürfel aus dem Kühlfach holen, um seine Panik niederzukämpfen – bringt einen erstaunlichen Fund zutage: Eingefroren liegt dort ein Brief aus den 1930er Jahren, gerichtet an einen gewissen Philip Erskine und signiert von Adolf Hitler höchstpersönlich. Bald ist Kevin tief in die seltsame Geschichte verstrickt, die nach und nach äußert merkwürdige Zutaten und Fragmente aus der Vergangenheit offenbart. Es ist die Geschichte von Seth Roach, einem kleinwüchsigen jüdischen Boxer mit nur neun Zehen, und von Philip Erskine, einem Wissenschaftler, der sich für die Rassenlehre interessiert – und für Käfer …
So weit, so sonderbar: Der Debütroman von Ned Beauman, im Original unter dem Titel "Boxer, Beetle" erschienen, strotzt nur so vor herrlich skurrilen Einfällen und unglaublichen Wendungen. Als da wären: Ein schwuler, gewalttätiger jüdischer Boxer, der obendrein noch kleinwüchsig ist und nur neun Zehen hat. Außerdem ein verklemmter Wissenschaftler, der seine sexuellen Neigungen verleugnet und sich von der Entdeckung eines außergewöhnlichen Käfers Ruhm und Ehre verspricht. Den besagten Käfer, um den sich im Prinzip alles in diesem Hörbuch dreht, gibt es wirklich, allerdings wurde der augenlose Laufkäfer namens "Anophthalmus hitleri" - der ironischerweise von brauner Färbung ist - nicht von Philip Erskine entdeckt, sondern von dem deutschen Käfersammler Oskar Scheibel, der ihn zu Ehren von Hitler benannte.
Wie bringt man also nun Käfer, Nazis, die Thule-Gesellschaft, Boxkämpfe, teils deftige Homoerotik, einen Ausflug nach Slowenien, einen rätselhaften Mord in einem Gutshaus und Trimethylaminurie – eben jene Krankheit, bei der der Erkrankte einen unangenehmen Geruch nach altem Fisch verströmt - unter einen Hut? Dem jungen Autor gelingt dies auf verblüffend unterhaltsame und clevere Weise, auch wenn es ein paar kleinere Längen gibt, vor allem eine lange Szene eines Tischgesprächs unter Nazis, die zunächst fesselt und dann ermüdet. Ansonsten bietet diese abgefahrene Geschichte, die Ned Beauman auf zwei Zeitebenen erzählt, erstaunliche und kluge Einfälle - und ist häufig auch sehr witzig. Allein die Szene zu Anfang, in der sich Kevin ausmalt, wie Hitler freudig überrascht auf eine von Goebbels organisierte Überraschungsparty reagiert, ist hinreißend komisch.
Gelesen wird die gekürzte Romanfassung auf vier CDs von Oliver Korittke, und hier scheiden sich wohl die Geister. Eigentlich hat Korittke eine sehr angenehme Stimme und diese bietet den passenden Rahmen sowohl für den unsicheren Wissenschaftler Philip Erskine als auch für den jähzornigen und ungehobelten Boxer Seth Roach. Andererseits macht Korittke andauernd Pausen mitten im Satz, und zwar an den unpassendsten Stellen, so dass er teilweise wie ein Leseanfänger klingt, der immer wieder ins Stocken gerät. Ob diese merkwürdige Art des Vortrags gewollt ist oder nicht, ist schwer festzustellen – sie kann allerdings fürchterlich auf die Nerven gehen, angenehme Stimme hin oder her.
"Flieg, Hitler, flieg!" ist allein wegen der skurrilen Zutaten und Einfälle auf jeden Fall hörenswert. Ein starkes, sehr originelles, aber bisweilen auch etwas gewöhnungsbedürftiges Debüt mit einer ebensolchen Lesung. Ned Beauman sprudelt vor Ideen, die er zu einem unglaublichen Ganzen verknüpft – auf weitere Werke des Autors darf man zu Recht gespannt sein.