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Tim liegt einsam in seinem Haus und träumt von der Prinzessin. Die Prinzessin, die ihm die kalte Schulter zeigt. Die Prinzessin, die er im Traum vor bösen Monstern beschützen möchte, ehe sie ihn vergisst. Denn die Zeit rauscht voran. Bald wird Tim ganz allein sein, in seinem Haus sitzen und über einem Puzzle brüten, dessen Teile ihm den Ort verraten, an dem die Prinzessin schlummert. Und wenn er sie findet, so ahnt er, wird sie ihn wieder zurückweisen. Er wünscht sich sehnlich, die Zeit zurückdrehen zu können, um ihr Herz zu gewinnen ...
So oder so ähnlich muss man sich die malerische Hintergrundgeschichte des wohl schönsten Jump-and-Run-Spiels der letzten Jahre vorstellen, und so wird sie auch in den geheimnisvollen Büchern erzählt, die Tim hinter den Wolkentüren seines nächtlichen Hauses entdeckt. Durch sie dringt er in sieben Traumwelten ein, in denen Puzzleteile verborgen sind, die ihn seiner Prinzessin (vielleicht) näher bringen. Zugleich tummeln sich in ihnen gefährliche Kopffüßler, bissige Hasen und fleischfressende Pflanzen, die Tim ans Leder wollen. Tim versucht sich an ihnen vorbeizustehlen, klettert an Wandgittern empor, springt auf Wolkenkissen und gezeichneten Plattformen herum, öffnet Türen mit Schlüsseln, die er aus Gruben und verwinkelten Kammern stiehlt, und sucht die genannten Puzzleteile zusammen.
Tims größte Waffe ist allerdings die Zeit. Denn in jeder Welt lässt sich diese auf eine ganz besondere Art manipulieren. Gerät Tim in Gefahr (oder unterläuft ihm ein Fehler), kann er nämlich die Zeit rückwärts laufen lassen und sich an den Zeitpunkt zurückversetzen, ehe ihm das Missgeschick unterlief. Später kann er einen Ring benutzen, um die Zeit in bestimmten Bereichen langsamer ablaufen lassen - eine Art lokale Zeitlupe sozusagen. Oder er dreht die Zeit zurück, um sich zu verdoppeln - in Form eines Schattens, der sich auf der Zeitspur parallel zu ihm bewegt. In einer weiteren Welt läuft die Zeit gar völlig synchron zu seinen eigenen Bewegungen: läuft Tim vorwärts, tut die Zeit es ihm gleich. Läuft er rückwärts, gilt dies auch für seine Umgebung.
Aus diesen Elementen kreieren der Spieleentwickler Jonathan Blow und der Zeichner David Hellman ein ungemein imaginatives, durchaus kniffeliges, vor allem aber wunderschönes Spiel. Die Zeitmanipulation ist hier nicht ein zusätzliches Gimmick, sondern ermöglicht erst die Lösung der unterschiedlichen Levels. Immer wieder gibt es Türen, Plattformen, Kopffüßler und Schlüssel, die von der Zeitmanipulation nicht betroffen sind; dann wieder müssen Braid und sein Schatten geschickt zusammenarbeiten, oder der Zeitlupenring verlangsamt eine Kanone, die unaufhaltsam Feuerbälle ausspuckt und somit den Zugang einer höheren Plattform versperrt. Und nicht selten brütet man eine ganze Weile über einem Problem wie jenem der zwei Türen, die es zu öffnen gilt ... obwohl man nur einen Schlüssel besitzt.
Abgesehen von der gelungenen und originellen Spielmechanik ist "Braid" aber auch schlichtweg unglaublich schön. Die gezeichneten Hintergründe und Figuren sehen aus wie Kreide- und Aquarellkunstwerke; hinzu kommt eine meditative Geigenmusik, durch die sich der Zauber des Spiels erst richtig entfaltet. Nicht zu vergessen: die in lyrischen, sehr kryptischen Texten erzählte Hintergrundgeschichte, bei der man zwischen den Zeilen lesen muss und die sich einem erst nach langem Grübeln erschließt - wenn man das will.
Fazit: Ein ungewöhnliches Jump-and-Run, das man als philosophisches und künstlerisches Gesamtwerk betrachten muss ... und das auch noch unglaublich viel Freude bereitet. "Braid" muss man einfach gespielt haben.