Der Ich-Erzähler hat aufgehört fernzusehen. So schlicht lässt sich die Kernhandlung des fünften Romans von Jean-Philippe Toussaint zusammenfassen. Statt am Bildschirm die Tour de France oder abendliche Talkshows zu verfolgen, will sich der namenlose Protagonist darauf konzentrieren, seine Studie über eine Begegnung des Renaissance-Malers Tizian mit Karl V. fertigzustellen. Zu diesem Zweck hat der französische Kunsthistoriker eigens ein Stipendium bekommen. Doch während seine schwangere Frau und ihr gemeinsamer kleiner Sohn den Sommer in Italien verbringen, kommt der Erzähler in der gemeinsamen Berliner Wohnung nicht mit seiner Arbeit voran.
Darüber verzweifelt er jedoch keineswegs, sondern er nimmt es gelassen. Stattdessen sinniert er über den Schreib- beziehungsweise den Nicht-Schreibprozess – und über das Fernsehen beziehungsweise das Nicht-Fernsehen. An seinem Schreibtisch, auf dem Bett des verreisten Nachbarehepaares, dessen Pflanzen er gießen soll – besonders häufig jedoch, während er in den Berliner Schwimmbädern oder Seen seine Bahnen zieht. Selbst beim Höhepunkt der Handlung, einem etwas holprigen Rundflug über die deutsche Hauptstadt mit dem leicht skurrilen Philosophiedoktoranden John Dory und einer seiner Studentinnen, kreist der Erzähler schließlich wieder doch nur um ein Symbol seines Lieblingsthemas: den Fernsehturm. Als Frau und Sohn im Herbst wieder nach Berlin zurückkehren, ist er über die ersten zwei Seiten seiner Studie nicht hinausgekommen. Als Geschenk haben sie ihm außerdem ausgerechnet einen Videorekorder mitgebracht. Er kauft daraufhin einen zweiten Fernseher, damit sein Sohn im Wohnzimmer Videos gucken kann, während seine Frau im Schlafzimmer fernsieht. Nüchtern fasst er selbst zusammen: "Moral von der Geschicht: Seit ich aufgehört hatte fernzusehen, waren zwei Glotzen im Haus."
Wer das Buch von Jean-Philippe Toussaint in die Hand nimmt, darf keine handlungsreiche Geschichte erwarten. Der Autor gehört zu der jungen französischen Autorengeneration, die als die ‚Minimalisten’ bezeichnet werden. Dies zeigt sich nicht nur in dem schlichten Sprachstil, sondern auch im reduzierten Inhalt seiner Romane. Wer das mag, in dem wecken der anekdotenhafte Handlungsverlauf und die ungewöhnlichen Gedankengänge der schwer einschätzbaren Hauptfigur jedoch Neugier auf den Fortgang, und die subtile Ironie zieht den Leser in die lakonisch-heitere Stimmung der Erzählung hinein. Der Kontrast zwischen der ungerührten Erzählweise und den teils ausgesprochen absurden Episoden ist manchmal sogar geradezu schreiend komisch, so zum Beispiel eine Szene, in der der Erzähler beim Ausflug vom FKK- an den Textilstrand plötzlich splitternackt seinem seinerseits bekleideten Stipendiengeber gegenübersteht, oder eine andere, in der er durch hanebüchene Aktionen seine Pflichtvergessenheit dem Farn seiner Nachbarn gegenüber zu vertuschen versucht.
„Fernsehen“ lässt sich als intellektuelle Persiflage auf moderne Medientheorien und die Debatten über die Macht des Fernsehens lesen. Dabei wirkt das schmale Buch jedoch nicht abgehoben, sondern wie eine luftig-leichte Sommerlektüre, das sich auch mal eben in der (vorzugsweise Berliner) U-Bahn oder am Baggersee lesen lässt. Wer sich nicht auf große Action einstellt und Spaß an eher unterschwelligem Witz hat, wird an dem amüsant-enthüllenden Blick des Franzosen auf die deutschen Eigenheiten und der Selbstironie des Erzählers seine Freude haben.