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Amerika, das späte 19. Jahrhundert: Die kleinen und größeren Städte der USA sind erfüllt von Menschen, die nach Westen strömen, um ihr Glück zu machen, sei es als ehrlicher Kaufmann, sei es als Buchmacher, sei es als Bardame oder als Taschenspieler. An jeder Ecke winken Gelegenheiten, die Luft ist erfüllt von der Hoffnung auf das ganz große Geld, erste Goldsucher machen sich auf den Weg in die unwegsame Wildnis. Mittendrin befindet sich ein bunter Trupp von Schauspielern und Sportlern, die sich unter der Führung des Theaterbesitzers Moriarty daran macht, die Menschen um ihre Dollars zu erleichtern. Der Weg der Truppe ist gepflastert von Abenteuern, zahllosen Shakespeare-Inszenierungen, großen und kleinen Betrügereien und immer wieder von Wettkämpfen …
Mit "Finish" hat Tom McNab einen unwiderstehlichen Roman geschrieben, der gekonnt die Grätsche macht zwischen Gaunerstück, Sportroman, Abenteuer und historischer Erzählung. Wie McNab das Amerika der damaligen Zeit vor dem geistigen Auge des Lesers auferstehen lässt, ist verblüffend: voller Leben, voller kleiner und großer Abenteuer und vor allem bevölkert von einzigartigen, authentischen Charakteren. Immer wieder muss man beim Lesen schmunzeln, denn Moriarty, der Theaterbesitzer und Lauftrainer, ist ein Tausendsassa, der nicht nur das Theater liebt, sondern auch den großen Bluff, das Glücksspiel, das Wetten, die Anspannung vor einem großen Wettkampf.
Im Mittelpunkt der Erzählung stehen aber vor allem die beiden jungen Läufer Billy Joe Speed und Buck Miller, die zeitlebens beste Freunde, aber auch Konkurrenten sind. Mit leichter Hand lässt der Autor seinen bunten Trupp durch einen amerikanischen Westen ziehen, in dem sich alles im Aufbruch befindet, wo alles noch neu und aufregend ist – wo aber die Pioniere bereits gemerkt haben, dass der Westen nicht das ganz große Glück für jedermann ist, sondern auch Armut und ein elendes Leben bereit hält. Geschickt lässt McNab den zeitlichen Rahmen durch zahlreiche historische Ereignisse einfließen, ohne aber dem Leser eine Geschichtsstunde zu geben – so findet zum Beispiel Custers legendäre Schlacht am Little Big Horn im Jahr 1876, wo der berühmte Major und alle seine Soldaten den Tod fanden, Erwähnung in einem Nebensatz. Und natürlich dreht sich alles ums Laufen: die Lust an der Geschwindigkeit, die Schmerzen, die Erschöpfung, der Jubel der Menge, das große Ziel in quälend weiter Ferne, der Rausch des Erfolgs. Selbst wer dem Laufsport nichts oder nur wenig abgewinnen kann, wird sich vom Nervenkitzel und der puren Spannung dieser Schilderungen gerne mitreißen lassen. Die Mischung an Wettkämpfen ist äußerst bunt und unterhaltsam – mal treten Billy Joe und Buck in 50-Meter-Rennen gegen den jeweiligen "Schnellen Mann" der Stadt an, mal kämpfen sie in einem dramatischen Pfeillauf gegen Indianer um das nackte Überleben, mal tritt einer von ihnen im Hochsprung gegen ein Pferd an. Man merkt deutlich, dass der schottische Autor selbst Leistungssportler und Trainer war, dass er den Rausch und den Nervenkitzel aus erster Hand kennt.
"Finish" ist ein schneller, faszinierender, bisweilen sehr humorvoller Roman, der eine vergangene Epoche der USA so lebhaft vor dem inneren Auge erscheinen lässt, dass man sich kaum noch von dieser leidenschaftlichen, klugen Geschichte trennen mag. Verblüffend und unterhaltsam wie der Besuch in einer Menagerie oder einer Illusions-Show!