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Das Hardcover-Buch, das die Geschichte der beiden Waisenkinder auf beachtlichen 508 Seiten erzählt, ist das erste Buch der Autorin beim Carlsen-Verlag und beinhaltet weitaus mehr als nur eine Kindergeschichte.
Die Geschwister Joe und Annie, die im England zur Zeit der industriellen Revolution leben, führen ein schweres Leben. Sie sind Waisen und werden von ihrem Brotherrn und seiner Frau sehr schlecht behandelt, bekommen kaum zu essen und haben Misshandlungen zu erdulden.
Eines Tages gelingt ihnen die Flucht, doch scheint sich ihr Leben dadurch keineswegs mit einem Schlag zu bessern. Sie finden sich vielmehr in einer kinderfeindlichen Zeit wieder, in der sie ohne einen Penny in der Tasche über die Runden kommen müssen.
Zwar begegnen sie vielen Menschen auf ihrer Reise, Flucht, Suche oder wie man es bezeichnen will, doch die meisten sind ihnen nicht wohlgesonnen, nur zu einem gewissen Teil hilfsbereit oder sehr skurille Gestalten. So machen die Kinder die Bekanntschaft des Eremiten Travis, einer Frau, die inmitten des Waldes mit Hunden zusammenlebt, einer Schaustellergruppe, einer Kinderbande ... doch mindestens ein Haken findet sich bei allen von ihnen.
Erschwerend kommt hinzu, dass Annie im Vergleich zu ihrem Bruder noch immer fest auf die Rückkehr der Mutter hofft und zudem mit den Toten sprechen und sie sehen kann, wie sie sagt. Dieses Verhalten, nicht zuletzt sehr belastend für ihren Bruder Joe, sorgt schließlich gar dafür, dass Joe sie bei der Zirkusgruppe zurücklässt, um allein sein Glück zu wagen ...
Diese Geschichte erinnert ganz zu Anfang ein wenig an "Hänsel und Gretel", handelt es sich doch um ein Geschwisterpaar, das vieles zu erdulden hat und gar über Nacht in den Hühnerstall gesperrt wird. Mit einem Märchen ist die Erzählung vielleicht insofern tatsächlich zu vergleichen, dass sie ziemlich grausam ist, doch im Großen und Ganzen war es das auch schon.
Zu Beginn eher verwirrend, wird die Geschichte aus der Sicht von Joe erzählt und dies sogar in der Gegenwartsform. Ein ungewöhnliches Mittel, um eine solche Geschichte zu erzählen, doch man gewöhnt sich recht rasch daran, da die Erlebnisse der Geschwister es vermögen, einen schnell in den Bann zu ziehen. Einzig die des Öfteren doch aufkommenden Wechsel in die Vergangenheitsform reißen den Leser kurzzeitig wieder aus der Erzählform heraus.
Die Beschreibungen der Gegebenheiten, der Menschen und des Alltags sind für ein Kinderbuch ausgesprochen realistisch und ungeschönt, brutal und sehr greifbar. Dabei macht die Autorin nicht nur eine Zeit erlebbar, in der alles im Wandel begriffen ist und gerade die ärmeren Arbeiter unter dem Erfolg der Reicheren zu leiden haben, sondern unterstützt ihre Erzählung vielfach nicht nur durch Gesehenes, sondern auch Gehörtes, Gespürtes und gar Gerochenes.
Einzig durch die seltsamen Gestalten, die in dem Buch auftauchen, bekommt das Ganze einen Hauch von Fantasy, ohne den man das Buch durchweg wohl als historischen Roman auch für Erwachsene sehen könnte.
Die Geschichte wirkt sehr authentisch, auch die auftretenden Charaktere und die Entwicklung der jungen Protagonisten ist wenig romantisch, dafür jedoch sehr nachvollziehbar und glaubhaft.
Interessant ist auch das Nachwort des Buches, in dem die Autorin Auskunft über den Aufhänger zu dieser Geschichte gibt. Ein Waisenkinder misshandelndes Bauernpaar gab es tatsächlich in ihrer Wohnnähe, und auch dies war kein Einzelfall, was Livi Michael schließlich zu dieser Geschichte inspirierte.
Auch einige auftretende Personen sowie geschichtliche Ereignisse sind, in der auftretenden Form oder zumindest daran angelehnt, authentisch.
Nicht nur der Inhalt, auch das Äußerliche des Buches weiß zu überzeugen.
Es wird durch einen dunkelroten Schutzumschlag geschützt, der zum Buch passend mit einigen Zeichnungen auf der Vorder- und Rückseite versehen wurde.
Neben einem Ausschnitt aus dem Buch auf der Rückseite beinhaltet der Schutzumschlag auf den Innenseiten auch einen Klappentext sowie Informationen zur Autorin.
Hinter dem Schutzumschlag verbirgt sich der Buchdeckel in dunklem Blau mit gelbem Titel auf dem Buchrücken.
Das gesamte Buch enthält nur eine einzige Graphitzeichnung ganz zu Anfang. Dafür besitzt es neben einem Inhaltsverzeichnis, das Aufschluss über die einzelnen Kapitel und Unterkapitel des Buches gibt, einen Lesefaden, der die Ausstattung des Buches perfektioniert.
Insgesamt ein Buch, das so nüchtern realistisch beschrieben ist, dass es sich für sehr sensible Kinder nicht allzu sehr eignet, für alle anderen aber, zudem für Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen, eine sehr empfehlenswerte Lektüre darstellt. Selten sind Bücher des Kinderbuchsektors so anspruchsvoll, so packend und so geschrieben, dass man sie wirklich als zugleich fordernd und fördernd bezeichnen kann.