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Valerie und Nick sind an ihrer High-School relative Außenseiter, aber sie haben einige gute Freunde und vor allem haben sie einander – die beiden verstehen sich blind. Eines ihrer Rituale: Sie führen in einem Notizbuch eine "Hassliste", wo Valerie die Namen all jener notiert, von denen sie schikaniert werden oder die ihnen einfach nur auf den Geist gehen. Bald stehen Hunderte von Namen in dem düsteren Heft. Für Valerie ist das nur ein Spaß, etwas, das sie noch enger mit Nick verbindet. Für Nick ist die Liste offenbar mehr: Eines Morgens bringt er eine Waffe in die Schule mit und tötet sechs Menschen; viele weitere werden schwer verletzt, unter ihnen auch Valerie. Als die Siebzehnjährige im Krankenhaus aufwacht, muss sie nicht nur erfahren, dass ihr bester Freund zuletzt sich selbst erschossen hat, sondern dass die Hassliste grausame Wahrheit geworden ist. Als Valerie dann nach den Sommerferien wieder in die Schule geht, schlagen ihr vor allem Wut, Misstrauen, Angst und sogar Hass entgegen. Dabei wollte sie doch gar nicht, dass jemand stirbt – oder ist sie mit Schuld an dem Amoklauf?
Littleton, Erfurt, Blackburg, Winnenden – diese und weitere Orte sind Synonyme geworden für schlimme Massaker an Schule und Universitäten, bei denen viele Menschen ums Leben kamen. Jennifer Brown hat das Thema der School Shootings in ihrem ersten Roman aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel aufgegriffen: Sie lässt Valerie, die beste Freundin und engste Vertraute des Amokläufers, aus der Ich-Perspektive von den Ereignissen vor und nach der Tat berichten. Dabei ist Valerie ebenso wie der Leser nicht sicher, welche Rolle sie dabei spielt: Ist sie eine Heldin, weil sie versucht hat, Nick aufzuhalten? Trägt sie Schuld an den Ereignissen, weil sie die morbide Hassliste geführt hat und weil sie nicht erkannt hat, was in ihrem Freund vorgeht, obwohl der andauernd von Mord und Selbstmord sprach? War die Liste überhaupt ein "Spaß" – oder wollte Valerie in ihrem tiefsten Inneren tatsächlich, dass Menschen getötet und verletzt werden?
Behutsam und mit großer Tiefe hat sich die Autorin Valeries Innenleben und dem ihres Umfeldes angenommen, ohne dass sie dabei in Klischees abgleitet oder auf die Tränendrüse drückt. Der lange, schwere Weg, den die Siebzehnjährige beschreiten muss, um wieder eine gewisse Normalität zu erlangen, ist teilweise schmerzhaft zu lesen, aber auch ungemein fesselnd und authentisch beschrieben. Valerie kämpft in diversen Stationen – Krankenhaus, Psychiatrie, Schule – nicht nur mit ihren eigenen Gefühlen, sondern vor allem auch mit denen ihrer Mitmenschen. Ein normales Leben ist seit den schrecklichen Ereignissen nicht mehr denkbar, die Schülerin ist für immer abgestempelt als Freundin eines Amokläufers. An der Situation zerbricht nach und nach auch Valeries Familie: Ihr Vater sieht in ihr praktisch eine Mörderin und kann ihr nicht verzeihen, ihre Mutter hat Angst, dass sie sich und vor allem anderen etwas antun könnte, und ihr kleiner Bruder leidet zunehmend unter der Vernachlässigung durch die völlig überforderten Eltern. Jennifer Brown hat den Weg der Schülerin eindringlich und sehr realistisch gezeichnet und stellt dabei wichtige Fragen, mit denen sich auch der Leser auseinander setzen muss. Darf Valerie ihren toten Freund Nick überhaupt betrauern, nachdem dieser doch jetzt offiziell ein Monster ist? Ist sie selbst auch eins, weil sie ihn falsch eingeschätzt hat? Sind die Leute, die erschossen wurden, zum Teil selbst schuld, weil sie andere schikaniert und gemobbt haben?
"Amokläufe an Schulen" ist ein wichtiges und leider auch aktuelles Thema, das aber in Form von "Problembüchern" allzu leicht pathetisch oder reißerisch wirken könnte. Jennifer Browns Jugendroman hingegen ist absolut lesenswert – sicher und emotional sehr mitreißend geschrieben, bedrückend, tiefsinnig und sehr lebensnah. Ein beeindruckendes Debüt und eine absolute Empfehlung für Leser ab etwa 14 Jahren!
Eine Leseprobe gibt es hier:
Die Hassliste