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Jürgen Osterhammel gehört spätestens seit seiner Weltgeschichte des 19. Jahrhunderts, der Verwandlung der Welt, zu einem klassischen Autor der Geschichtswissenschaft. Kein deutscher Historiker wird so stark wie er mit Weltgeschichte in Verbindung gebracht. Kaum ein deutscher Historiker verfügt über seine erzählerische Kraft. So fühlt man sich gleichermaßen unterrichtet wie unterhalten von seinen Werken. Die Entzauberung Asiens ist nun zwar schon über ein Jahrzehnt alt, wurde von C. H. Beck aber dennoch neu mit einem aktuellen Nachwort aufgelegt.
Der vierhundert eng bedruckte Seiten dicke Band ist in zwei Hauptteile gegliedert, die einem Vorwort mit grundsätzlichen Betrachtungen folgen. Der erste Teil läuft unter der Benennung "Wege des Wissens". Hier beschreibt Osterhammel ausführlich jeden denkbaren Informationsfluss zwischen Asien und Europa. Ob Jesuiten am chinesischen Kaiserhof, Reisebeschreibungen von Wissenschaftlern, Berichte von Händlern und von Angestellten der Handelskompanien, Briefverkehr zwischen den Eliten beider Kontinente, alles wird auf seine Wirkung im Europa des 18. Jahrhunderts geprüft. Interessant ist dabei vor allem, wie vielfältig die Wege des Wissens und die Interessen an Asien im Zeitalter der Aufklärung waren. Osterhammel beschreibt ausführlich, wie Berichte kritisch beurteilt wurden, um den Wahrheitsgehalt möglichst gesichert herauszuarbeiten. Dabei spielten natürlich nicht nur wissenschaftlicher Forscherdrang, sondern auch ökonomische und staatliche Interessen eine Rolle.
Im zweiten Teil, "Zeitgenossenschaft und Geschichte", geht Osterhammel intensiver auf die Geschichte Asiens selbst ein und beschreibt, wie asiatische Ereignisse, Staaten und Personen in Europa beurteilt wurden. Er zeichnet dabei ein Bild einer durchaus gut informierten europäischen Gesellschaft, die fundierte Diskurse über asiatische "Zeitgeschichte" führen konnte, ohne dass überhebliche Arroganz oder naive Bewunderung die Oberhand gewannen. Ganz nebenbei schreibt er dabei Geschichten Persiens, Indiens oder Chinas im 18. Jahrhundert.
Das Buch endet mit einem schön zu lesenden Nachwort zum eurozentrischen Orientalismus, welches nur für diese Ausgabe von Osterhammel verfasst wurde. Der 160 Seiten starke wissenschaftliche Apparat besteht aus einem Anmerkungsteil, einem Quellen- und Literaturverzeichnis sowie einem Namens- und einem Sach- und Ortsregister.
Wie bei fast allen Werken von Osterhammel lohnt sich die Lektüre auch bei diesem Buch sehr. Allein die Materialfülle, die schiere Faktenflut ist das Geld wert. Sicher wirkt sie oft erschlagend, aber durch den erzählsicheren Schreibstil entsteht aus der Aneinanderreihung von Fakten ein Bild des 18. Jahrhunderts, welches geprägt ist von mannigfachen Beziehungen zwischen Asien und Europa. Geschichtsschreibung sollte eben nicht nur die Wiedergabe der Fakten und deren Interpretation sein, sie sollte die Geschichte lebendig werden lassen und dem Leser eine bildhafte Vorstellung vergangener Zeiten geben. Das vermag Osterhammel meisterhaft.
Ebenso heißt Geschichte auch immer den Gegenwartsbezug herauszuarbeiten. Geschichte ist immer nur interessant in ihrer Wirkung auf das Heute. Osterhammel zeigt mit seinem Werk, wie wechselhaft von Epoche zu Epoche das Bild von fremden Völkern ist. Das Europa des 18. Jahrhundert sah im Großen und Ganzen Asien ohne jegliche Abwertung. Die Länder China, Japan, Indien, das osmanische Reich oder Persien konnten in der europäischen Literatur den Rang beispielhafter Staatswesen erreichen. Mongolische Heerführer konnten als weise Staatsmänner gepriesen werden. Der Eurozentrismus brach erst nach der Aufklärung in Europa aus. Die Arroganz gegenüber dem Rest der Welt als Grundlage eines weltweiten Kolonialismus war gerade erst im Entstehen begriffen. Wenn Geschichte helfen kann zu verstehen, dass Vorurteile, Abwertungen fremder Kulturen und Selbstüberschätzung genauso historischen Konjunkturen unterliegen wie politische Macht oder wirtschaftliche Entwicklungen, dann hilft sie zugleich zu verstehen, dass diese Phänomene reine Konstrukte sind, die mit Offenheit und Verstandestätigkeit dekonstruiert werden können, so wie es die Aufklärer im 18. Jahrhundert taten und sich so die Vielfältigkeit der Welt nutzbar machen konnten.
Das Buch ist allen historisch Interessierten zu empfehlen, die sich nicht nur Faktenreichtum wünschen, sondern eine bildhafte Vorstellung einer Epoche europäisch-asiatischer Beziehungen bekommen möchten.