Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Spannung | |
Rätselhaft wie eh und je gibt sich Paul Auster mit seinem neuesten Roman "Unsichtbar". Hier lernt in den späten 1960ern in den USA der junge Adam Walker, Student und ambitionierter Dichter, auf einer Party den undurchschaubaren Rudolf Born und dessen Partnerin Margot kennen. Man kommt ins Gespräch und Born, der als Professor an der Uni tätig ist, macht Walker überraschend den Vorschlag, ein anspruchsvolles Literaturmagazin nach eigenem Dünken zu gründen, wobei er die Finanzierung übernehmen werde.
Adam Walker ist überwältigt von diesem großartigen Angebot und macht sich gleich an die Ausarbeitung der neuen Zeitschrift. Beim nächsten Treffen mit Born wird sich Adam aber der dunklen Seite seines Gönners bewusst, der sich reizbar, streitsüchtig und unverschämt gibt, Walker beleidigt und provoziert und ihn schlussendlich offen dazu auffordert, eine Affäre mit Margot, die ebenfalls anwesend ist, zu beginnen. Tatsächlich lässt sich Adam darauf ein, sobald Rudolf Born zu einer Reise aufbricht. Das nächste Treffen von Born und Walker ändert dann alles: Bei einem abendlichen Spaziergang kommt es zu einer gewalttätigen Konfrontation mit einem Straßenräuber. Angewidert von Borns brutaler Seite bricht Adam den Kontakt ab und begräbt die Idee von der Literaturzeitschrift. Doch die Beziehung zu Born und zu Margot soll Walker sein ganzes Leben weiter verfolgen …
Paul Auster erweist sich in seinem neuesten Werk als Meister des Erzählhandwerks, der mühelos Perspektiven und Ebenen wechselt und eine Reihe von skurrilen Personen und Begebenheiten aus dem Hut zaubert.
Walkers Lebensgeschichte ist eingebettet in eine Rahmenhandlung, in der ein Mann namens James Freeman, selbst Autor und alter Studienfreund Adams, einen Brief erhält, in dem Walker, inzwischen ein älterer Mann, seinen nahenden Tod ankündigt. Der erste Teil von "Unsichtbar" ist damit eigentlich ein Manuskript, das Adam an seinen alten Freund James übersendet. In weiteren Teilen des Buches wird diese Lebensgeschichte von verschiedenen Personen und vor allem aus ganz verschiedenen Erzählperspektiven weiter berichtet – ein interessantes Experiment. Der Roman beginnt in der Ich-Perspektive; der zweite Teil von Walkers Geschichte ist aber in der zweiten Person, aus der Du-Perspektive, geschrieben, eine recht ungewöhnliche Wahl, die Auster aber ausgezeichnet beherrscht und die dieses Kapitel aus Walkers Leben zum hautnahen Erlebnis macht.
Danach geht es in weiteren Teilen in der dritten Person weiter, wobei der Autor zwischen Gegenwart und Vergangenheit wechselt, bis das Finale schließlich in Form eines Tagebuchs begangen wird.
Konstante in "Unsichtbar" ist neben Adam Walker, der Hauptfigur, der düstere und undurchschaubare Rudolf Born. Auster lässt den Leser lange Zeit im Unklaren, wer Born eigentlich ist und was er tut. Von Anfang an, direkt auf den ersten Seiten, baut sich aber ein Gefühl des Unwohlseins auf, wenn Born auf den Plan tritt, dem man die ganze Zeit, ebenso wie Adam, nicht traut. Doch auch Adam ist ein seltsamer Charakter, der im Laufe seines Lebens der Liebe in äußerst verschiedenen Spielarten begegnet – unter anderem mit der wesentlich älteren Margot, die er begehrt und die ihm sexuell an Erfahrung weit überlegen ist, und mit seiner Schwester, zu der er eine inzestuöse, von Leidenschaft und Experimentierfreude geprägte Beziehung hat. Adam wird nicht nur von Margot verführt, sondern vor allem gleich zu Beginn - wenn auch nicht in sexueller Hinsicht - von Born, der Walkers Leben eine höchst unwillkommene und unvorhersehbare Wendung gibt, so dass der junge Dichter seine (moralische) Unschuld verliert und fortan, von Schuldgefühlen zerfressen, einen Racheplan gegen Born schmiedet.
Ob alles tatsächlich so geschieht, wie Walker berichtet, das bleibt immer mehr im Unklaren, je weiter das Buch voranschreitet. Hat Borns gewalttätiger Ausbruch in der Schlüsselszene im ersten Teil tatsächlich stattgefunden? Gab es eine Beziehung von Adam zu seiner Schwester oder nicht? Der Leser muss sich selbst seinen Reim auf die vielen verschiedenen Handlungsstränge machen und wird sich nicht nur einmal fragen, worauf nun alles hinsteuert. So ist "Unsichtbar" ein zweischneidiges Buch – einerseits sehr befriedigend, weil es so elegant erzählt ist und so viel Perspektiv-Wechsel bereithält, die immer wieder überraschen, und weil die hier erdachten Charaktere eben durch diese vielen Wechsel eine ungewöhnliche Authentizität und Vielschichtigkeit erhalten. Andererseits wirken die einzelnen Teile des Romans, obwohl Paul Auster durchaus eine fortlaufende Geschichte erzählt, merkwürdig voneinander losgelöst, gleichsam ohne einen großen roten Faden, der alles zusammenhält. Ein einfallsreicher, ungewöhnlicher Lesegenuss: ja. Aber nicht, wie viele Kritiker schreiben, Paul Austers bislang bester Roman.
Eine Leseprobe von "Unsichtbar" gibt es auf der Verlagswebsite.