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Alexander der Große gehört zu den wenigen historischen Persönlichkeiten, die in der westlichen Welt wohl jedem bekannt sind wie sonst vielleicht nur noch Julius Caesar oder Napoleon. Dabei regierte Alexander nur etwa 13 Jahre einen kleinen Fleck der Erde, Makedonien und die griechischen Stadtstaaten im Süden des makedonischen Kernlandes. Seine kurze Regentschaft fiel fast vollständig mit der Eroberung des riesigen Perserreiches zwischen der heutigen Türkei und Indien zusammen. Das Perserreich ging unter und die griechische Kultur wurde bis an die Grenzen Indiens getragen. Damit läutete Alexander der Große eine Epoche ein, die Historiker seit dem 19. Jahrhundert Hellenismus nennen und die drei Jahrhunderte überdauern sollte.
Wenn eine Regierungszeit fast vollständig mit einem Eroberungsfeldzug zusammenfällt, ist klar, dass die Militärpolitik einen entscheidenden Stellenwert gehabt haben muss. Stephan English hat mit dem Buch "Alexander der Große und seine Armee" eine Arbeit ausschließlich über Alexanders Heer und Flotte vorgelegt. Das hochwertig gestaltete Buch im Hardcoverumschlag ist 223 Seiten dick. Es besteht aus zehn systematisch geordneten Kapiteln, in denen English die einzelnen Waffengattungen und Verbände der makedonischen Armee nacheinander analysiert. In der Mitte des Buches finden sich einige Abbildungen archäologischer Quellen. Im Anhang finden sich Karten sowie Darstellungen von Erbfolgen und Regierungszeiten makedonischer Könige. Abgeschlossen wird das Buch durch eine Bibliographie und ein Register.
"Alexander der Große und seine Armee" soll gemäß dem Rückentext "anschaulich" die Organisation der makedonischen Armee während des Persienfeldzuges darstellen. Dieses Versprechen wird kaum eingehalten. Der Autor ist zweifelsfrei ein versierter Kenner der Quellen und des Forschungsstandes, aber er besitzt nicht die Fähigkeit, anschaulich Geschichte darzustellen. Er verliert sich in Seiten lange Berechnungen und Spekulationen allein über die Größe bestimmter Verbände oder die Anzahl der Soldaten einer bestimmten Waffengattung. Diese Forschungsdebatten sind letztlich nur für Insider, also in erster Linie für Althistoriker, interessant. Ein interessierter Laie hätte eher eine anschauliche Darstellung über den Alltag in der Armee oder ihr Funktionieren in der Schlacht erwartet. Die Behandlung von Fragen wie zum Beispiel danach, ob die schwere Kavallerie 4000 oder 4500 Mann stark war, ist für das "anschauliche" Verständnis des makedonischen Militärapparats ohne Belang und schreckt ausgedehnt auf 200 Seiten eher ab.
Es gibt nur wenige Seiten, auf denen der Autor ablässt von rein quantitativen Analysen, so zum Beispiel am Ende des ersten Kapitels. Dort wird zwischendurch auf einigen wenigen, auch tatsächlich anschaulich geschriebenen Seiten die Sarissa, die lange Lanzenwaffe, die für die makedonische Armee charakteristisch war, beschrieben. Andersherum wäre es richtig gewesen: viele anschauliche Beschreibungen und nur wenige quantitative Analysen! Die anschauliche Beschreibung der Sarissa und ihrer Anwendung vermittelt dem Leser auf wenigen Seiten mehr über die makedonische Armee als die restlichen 30 Seiten desselben Kapitels.
English macht leider noch weitere Fehler, die das Buch für den Fachfremden unlesbar machen. Er erklärt beispielsweise so gut wie keine Begriffe. Fast alle griechischen und persischen Begrifflichkeiten setzt er bei seiner Leserschaft voraus. Wer nicht gerade Archäologie oder Alte Geschichte studiert hat, dürfte oft zum Wörterbuch greifen müssen, um dem Text zu folgen.
Dennoch muss man dem Autor zu Gute halten, dass er eine fundierte und quellengesättigte Arbeit vorgelegt hat. Er kennt zu jedem Problem seines Themas alle Quellenstellen und hantiert sicher mit ihnen. Wie in der alten Geschichte üblich, muss er sich oft mit guten Hypothesen behelfen - auch wenn er es sicher an der einen oder anderen Stelle übertreibt, bei denen sich Formulierungen wie "es ist anzunehmen" oder "es wäre schlüssig, wenn" häufen.
Auch ist das Buch sehr schön und hochwertig gestaltet. Die Aufmachung ist schön anzusehen. Es ist nur schade, dass gerade auch durch diese ansprechende Aufmachung dem Leser zu viel versprochen wird. Wer als Historiker ein größeres Publikum ansprechen will, sollte vorher darüber nachdenken, welche Aspekte für Leser ohne Vorwissen interessant sind und welche nicht. Daher ist das Buch nur Insidern zu empfehlen, die sich mit Englishs Hypothesen gewinnbringend auseinandersetzen können. Allen anderen sei empfohlen, zu einer der vielen anderen Alexander-Einführungen auf dem Markt zu greifen.