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Der englische Fotograf Reuel Golden, ehemaliger Herausgeber des "British Journal of Photography", schreibt die Stadtgeschichte seiner Wahlheimat New York als Geschichte der Bilder: Auf über 550 Seiten versammelt er Zeichnungen, Pläne, Plakate, vor allem aber Fotografien aus den letzten 150 Jahren. Vertreten sind Werke bekannter Fotografen und Fotografinnen wie Alfred Stieglitz, Andreas Feininger, Berenice Abbott, Arnold Newman und Nan Goldin, aber auch zahlreiche Aufnahmen anonymen Ursprungs und gänzlich unbekanntes Archivmaterial. Zusammen mit Zitaten, kurzen Kommentaren zu den einzelnen Bildern und etwa dreiseitige Einleitungen zu jedem der fünf Kapitel (wie bei Taschen üblich auf Englisch, Deutsch und Französisch) ergibt dieser Bilderreigen eine lebendige und atmosphärische Chronik einer Stadt, deren Wandelbarkeit sich dem Betrachter von Seite zu Seite mehr offenbart.
Die Kapitel verfolgen chronologisch verschiedene Phasen der Stadtentwicklung. Das erste widmet sich den Jahren von 1850 bis 1913, in denen die wirtschaftliche Expansion der Hafenstadt und mehrere Einwanderungswellen die Einwohnerzahlen und die Entwicklung der Infrastruktur New Yorks geradezu explodieren ließen.
Das zweite Kapitel zeigt die bewegte Phase von 1914 bis 1945, zwischen Wirtschaftsboom, Großer Depression und dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in die auch der fotografisch dokumentierte Bau dreier der markantesten Gebäude der Stadt fällt: des Empire State Buildings, des Chrysler Buildings und des Rockefeller Centers.
In den zwei Nachkriegsjahrzehnten besiegeln die Gründung der Vereinten Nationen und die zunehmend florierende internationale Künstler- und Intellektuellenszene den Aufstieg New Yorks zur "Hauptstadt der Welt", wie das dritte Kapitel überschrieben ist. Eine infolge der Bevölkerungszahlen zunehmende Stadtverschuldung, soziale Ungleichheit und rassistische Stadtentwicklungsprogramme stellen die negative Seite dieser Zeit dar. Ambivalenzen zeigen auch die Seiten des vierten Kapitels: Bilder aus den Jahren 1966 bis 1987, Obdachlose und High Society, soziale Unruhe, Hippie-Kultur und hedonistische Disco-Bewegung.
Den Abschluss bildet das vergleichsweise kurze fünfte Kapitel zu der Zeit von 1988 bis heute, in dessen Mittelpunkt der Terroranschlag auf das World Trade Center steht.
"The Greatest New York Photo Book Ever", titelte kürzlich das "Time Magazine". Und dieser Superlativ, so gewagt er angesichts einer Publikationsfülle, die selbst nur in Superlativen beschreibbar ist, auch sein mag, erscheint doch nicht allzu übertrieben: Der gewaltige Bildband stellt einen wahrlich nicht nur aufgrund seines Gewichts gewichtigen Querschnitt der bewegten Geschichte New Yorks dar. Da es sich nicht um irgendeine Stadt handelt, sondern um die 'Stadt der Städte', das Zentrum westlicher Kultur im 20. Jahrhundert, bietet diese Sammlung noch viel mehr: eine Zeitreise durch Lebensgefühle und Bildkulturen, die von New York aus ausstrahlten und das Leben ganzer Generationen auch fernab des Big Apple prägten. Manche der gezeigten Bilder hat vermutlich fast jeder schon einmal bewusst oder unbewusst gesehen, zum Beispiel den von Alfred Eisenstadt festgehaltenen Kuss zwischen einem Matrosen und einer Krankenschwester auf dem menschenüberlaufenen Times Square, am Tag der japanischen Kapitulation, die den Zweiten Weltkrieg beendete. Sie haben längst ein ikonisches Eigenleben entwickelt, doch nun kann der Betrachter sie noch einmal in ihren soziohistorischen Kontext einordnen.
Andere Bilder sind bislang unveröffentlicht. Der Aufwand, der bei der Recherche in den Bilderfluten zahlreicher Archive und Privatsammlungen und beim Abwägen der definitiven Auswahl betrieben worden sein muss, hat sich gelohnt. Eine ausgewogene Mischung aus Kunstfotografie und Dokumentation, Alltagsschnappschüssen und Werbematerial lassen vor dem Auge des Betrachters ein reiches Bild New Yorks entstehen und laden ein, sich blätternd einen Überblick zu verschaffen, sich in einzelnen Bildern zu verlieren, nostalgisch in Erinnerungen zu schwelgen oder sich gleich an die Reiseplanung zu machen. Auch die Gestaltung und Druckqualität können überzeugen.
Kurzum: Nach den Bänden über Berlin und Los Angeles setzt der Taschen Verlag sein Projekt der Stadtporträts mit vollem Erfolg fort und weckt Neugier darauf, welche Metropole er sich als nächstes vornehmen wird.