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Thomas Carter zögert - was ihm die Witwe seines besten Freundes da erzählt, ist schwer zu glauben. Er soll ein Baby in seinem Heim unterbringen, ohne die Behörden Kalkuttas zu informieren. Und niemand darf jemals erfahren, wer das Kind zu ihm brachte. Die Geschichte des Säuglings hört sich an wie aus einem Schauerroman. Ein gewisser Jawahal, entflohener Sträfling und wahnsinnig gewordener Meuchelmörder, hätte Vater und Mutter getötet und trachte nun auch den Babys - die Zwillingsschwester des kleinen Jungen will die alte Frau selbst großziehen - nach dem Leben.
Doch als wenig später eben dieser Mann vor Carter steht und nach dem Baby fragt, weiß der Leiter des Waisenhauses St. Patrick's, dass die Witwe nicht übertrieben hat. Der Mann macht Carter Angst und so streitet er ab, jemals ein Kind aufgenommen und es nicht den Behörden gemeldet zu haben. Jawahal verabschiedet sich, kündigt aber seinen erneuten Besuch an dem Tag an, an dem der verschwundene Junge sechzehn Jahre alt wird - dem Alter, in dem die Waisen das Heim verlassen müssen.
Thomas Carter vergisst über die Jahre den Fremden und zieht den kleinen Ben groß, als wäre es sein eigener Sohn. Doch in der Woche, in der die Verabschiedung Bens stattfinden wird, steht die Witwe vor seinem Büro und warnt ihn erneut eindringlich vor Jawahal. In ihrer Begleitung befindet sich ihre fast sechzehnjährige Enkelin Sheere, die Zwillingsschwester Bens.
Zufällig erblickt Ben die vor Carters Büro wartende Sheere. Er unterhält sich mit der schüchternen jungen Frau und überredet sie, seine Freunde kennen zu lernen. Kaum ist Sheere mit ihm mitgegangen, zerstört eine gewaltige Explosion das Büro von Carter. Der Leiter überlebt schwer verletzt die Feuersbrunst und fleht den völlig konsternierten Ben an, mit Sheere zu deren Großmutter zu gehen und sie um ihre Hilfe zu bitten. Sheere und Ben seien in tödlicher Gefahr und nur die Großmutter des Mädchens könne ihnen helfen. Ben, Sheere und die sechs Jugendlichen, die ihm ewige Treue geschworen haben, brechen sofort auf. Doch sie können nicht ahnen, dass nicht ein Mensch, sondern ein unbezwingbarer Feuerdämon ihnen schon bald nach dem Leben trachtet.
Carlos Ruiz Zafón hat Jahre vor seinen Welterfolgen
"Der Schatten des Windes" und
"Das Spiel des Engels" mit der "Nebel-Trilogie" drei kleine, feine Romane veröffentlicht, die erst jetzt den Weg in die deutschen Buchläden gefunden haben. War der 1993 erstmals erschienene
"Der Fürst des Nebels" eine bereits sehr gelungene Fingerübung für Jugendliche, ist der 2004 in Spanien und im Oktober 2010 in Deutschland erschienene Roman "Der Mitternachtspalast" bereits von ganz anderem Kaliber und zeugt in der vorliegenden ungekürzten Hörbuchversion von der frühen Meisterschaft des Spaniers Carlos Ruiz Zafón.
Wer anfangs irritiert ist ob der verschachtelten Geschichte, die von einem imaginären Heute ins Jahr 1932, dann nach 1916 und wieder ins Jahr 1932 springt, wird schon nach wenigen Minuten von der Geschichte gefesselt.
Der Stil des Spaniers in diesem Jugendroman - empfohlen wird die Lektüre ab zwölf Jahren - ist zwar noch lange nicht so komplex und ausgereift wie in seinen späteren Romanen, doch die Spannung, die er erzeugt, ist ungeheuer. Fast ohne Pausen oder Erholungsperioden wird man mehrere Stunden in atemloser Erwartung des schrecklichen Endes - etwas anderes kann man sich als Hörer kaum vorstellen - nahe an den Lautsprechern verbringen. Man will keine Sekunde, kein Wort von den durch Rufus Beck grandios vorgetragenen Zeilen verpassen.
Und wer Beck nur als mal genialen, mal albernen Stimmenimitator kennt, der gerne in verschiedensten Mundarten und Ausdrucksstilen seine unzähligen Hörbuchproduktionen bis fast zur Karikatur übersteigert, wird angenehm überrascht sein. Der Sprecher nimmt sich sehr stark zurück, lässt den Text wirken und enthält sich komplett jeglicher Sperenzien. Nur wenn er Jawahal zum Besten gibt, wird seine Stimme wie mit Reibeisen gequält. Mit einem Wort, seine Leistung ist grandios.
"Der Mitternachtspalast" ist ungeheuer spannend, traurig und doch hoffnungsvoll. Auch wenn dem Hörer - zumal dem jungen - gelegentlich der Magen verdorben wird ob der obsessiv von Zafón dargestellten Gewalt, ist es doch ein Stück Literatur, das man uneingeschränkt empfehlen kann. Und wer bereits "Der Fürst des Nebels" mochte, wird "Der Mitternachtspalast" lieben.
Eine Hörprobe gibt es auf der Verlags-Website.