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Wolf Serno ist bekannt für seine historischen Romane, die sich mit vielfältigen Themen beschäftigen. Diesmal hat es ihn in das historische Bologna verschlagen, an die medizinische Universität, die damals weit über die Stadtgrenzen hinweg bekannt war.
Clara wächst im 16. Jahrhundert abgeschieden bei ihrer alleinerziehenden Mutter auf. Sie weiß nicht, wer ihr Vater war, die Mutter spricht nie von ihm. Fremde Menschen trifft Clara so gut wie nie, denn sie trägt ein auffälliges Feuermal im Gesicht, dass ihre Mutter und sie aus Angst vor der Reaktion der Mitmenschen verbergen wollen. Solch ein Makel ist nämlich auch als Mal der Sünde oder des Teufels bekannt. Als Clara heran wächst, lernt sie, Spiegeln aus dem Weg zu gehen und nur wenigen Menschen zu vertrauen, unter anderem ihrem Verlobten Marco. Durch ihn findet sie den Weg zur Medizin. Sie ist fasziniert vom menschlichen Körper und seinen Funktionen. Doch als Frau ist ihr der Zugang zur Universität verwehrt. Durch Umwege gelingt es ihr, sich einzuschleichen und vom Hilfslehrer Gaspare unterwiesen zu werden. Doch Gaspare meint es nicht ehrlich von ihr, was sie sehr lange nicht bemerkt. Zudem sind Frauen, die sich in der Medizin auskennen, sehr selten und als solche per se verdächtig, ebenso wie solche mit einem Feuermal auf dem Körper.
Das Studium allgemein war Frauen in aller Welt lange verwehrt, auch wenn sie durchaus Interesse und Talent aufwiesen - zuweilen mehr als die Männer, die Zugang zum Wissen fanden. Clara ist eine dieser Frauen, die von einer Leidenschaft für das Wissen um die Geheimnisse des menschlichen Körpers getrieben wird, aber nur als Krankenschwester oder heimlich mehr von ihnen erfahren kann.
Die medizinischen Kapitel werden sehr ausführlich behandelt. So lernt man als Leser gemeinsam mit Clara die Lehre der Säfte von Galen kennen, die Anordnung der Knochen und Muskeln im Körper, die Art, wie sich eine Vergiftung äußert oder wie Wunden damals zu behandeln waren. Diese Passagen werden mit der Zeit ermüdend, da sie sehr lange Abschnitte einnehmen, in denen nichts passiert, außer dass Clara sich Wissen aneignet und es wiederholt. Etwas Abwechslung kommt erst in den Roman, als sie wirklich beginnt, dem Chirurgen Gaspare bei seiner Arbeit zur Hand zu gehen und ihm auch persönlich näher kommt. Doch diese Gefühle stehen immer hinter der Medizin, egal, welche Qualen Carla gerade durchlebt, immer steht das Streben nach mehr Wissen und nach der Möglichkeit, mehr Menschen zu helfen, im Vordergrund.
Leider verlaufen viele begonnene Handlungsstränge im Sande. Auch werden manche Charaktere zunächst vorgestellt, verschwinden dann aber schnell wieder in der Bedeutungslosigkeit. Zudem werden sehr viele der Handlungen und Ereignisse nur mit dem Zufall erklärt. Dass Clara bewusst etwas entscheidet, ist eher selten. Entweder jemand entscheidet es für sie oder das Schicksal wirft ihr ein Ereignis vor die Füße, dem sie nicht ausweichen kann. Das steht im kompletten Widerspruch zu Carlas eisernen Willen in medizinischer Hinsicht und ihrer Philosophiererei, dass eine Frau ebenso viel Wert ist wie ein Mann. Sie wirkt dennoch zu abhängig von den Männern in ihrem Leben. Von der Emanzipation, die sie predigt, lebt sie nicht viel. Zu groß sind die Dünkel um Schicklichkeit und Gehorsam, die sie sich immer wieder selbst in Erinnerung ruft. Diese Ich-Erzählerin wirkt dadurch unglaubwürdig. Es kann nicht sein, dass diese ganzen Theorien um Gleichberechtigung und Auslegung der Religion von einer Frau kommen, die doch bei jeder Gelegenheit vor einem Mann kuscht. Das der gesamte Roman allein aus Carlas Sicht geschildert wird, trägt zudem nicht dazu bei, die anderen Charaktere verstehen zu können. Ebenso wie Carla wird man oft im Dunkeln darüber gelassen, was die Intentionen der Charaktere sind.
Wolf Serno hat bereits in mehreren Romanen unter Beweis gestellt, dass er es perfekt versteht, historische Fakten mit einer fiktiven Geschichte zu verweben, die spannend ist und genau so passiert sein könnte. Auch medizinische Belange hat er schon öfter in seine Romane eingebunden, hier aber in sehr detaillierter und umfassender Form. Die beeindruckendste Operation des Buches, eine Nasenrekonstruktion, findet sich in den Anhängen wieder, wo das historische Material zu dieser Operation abgedruckt ist.
"Die Medica von Bolgona" gewährt einen farbenfrohen Blick in das Bologna des sechzehnten Jahrhunderts und in die medizinische Forschung dieser Zeit. Leider kommen die menschlichen Aspekte darüber zuweilen zu kurz, obwohl Carlas Charakter so viel Möglichkeiten geboten hätte, die nicht alle ausgenutzt wurden.
Eine Leseprobe des Romans findet sich
hier auf der Verlagswebseite.