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Vorweg: Dieses Buch ist weniger zum direkten Durchlesen geeignet. Bei der Fülle an Material wird man wohl eher erst einmal die grundlegenden Texte lesen und sich dann nach und nach die vorhandenen Bandhistorien durchlesen. Der Band gilt laut Verlag als Standardwerk, bei dem Umfang und Inhalt mag dies auch stimmen.
Als Zusatzinformationen gibt es eine umfangreiche Bibliographie und Diskographie sowie zahlreiche seltene Abbildungen und Song-Zitate (deutsch/englisch). Inhaltlich gesehen lässt das Buch sicher kaum Fragen offen, wenn, dann eher, weil nicht jede Band Erwähnung finden kann. Es handelt sich übrigens um die zweite überarbeitete Auflage.
Reto Wehrli, ein Schweizer Psychologe, ist übrigens kein großer Heavy Metal-Fan, sondern geht das Thema eher aus der wissenschaftlichen Sicht an. Was aufgrund des Buchtitels etwas verwirrt, ist die Tatsache, dass auch andere Populärmusik, Comics und Filme Erwähnung finden. Was aber erstens das Thema etwas abrundet - und zweitens gibt es auch dort einige interessante Fälle der Zensur beziehungsweise Kritik.
Der Schreibstil des Autors ist eher einfach, was den lesenden Laien freuen wird. Nur selten gibt es Fachbegriffe und manchmal auch ein paar spezielle schweizerische Begriffe, deren Sinn sich dem Leser außerhalb der Schweiz nicht unbedingt erschließen. Schade ist, dass manche Musikeraussagen nur im englischen Original vorhanden sind, sodass gerade wichtige Dinge dem nicht so gut englisch verstehenden Leser verschlossen bleiben.
Da sehr viele Skandale mit Black- und Death-Metal-Bands beziehungsweise den - angeblich - satanistischen Gesinnungen der Bandmitglieder zusammenhängen, ist es interessant, kurz die Stellung des Autors zu betrachten. Auch wenn er den Freikirchlern im deutschsprachigen Unbedenklichkeit bescheinigt, so ist er doch dafür, Religion als Privatsache anzusehen. Und er zeigt sehr gut auf, dass viele Dinge eher der - teilweise schon pathologischen - Fantasie der christlich-fundamentalischen Kritiker entspringen als den realen Covern, Texten und Aussagen der Bands. Es ist schon teilweise absurd, wenn sogar christliche Symbole zu Zeichen des Teufels umgedeutet werden, nur weil sie von Heavy Metal-Bands benutzt werden, da diese ja nun einmal per se "satanisch" seien. Einen gewissen Schmunzelfaktor hat dieses Kapitel auf jeden Fall. Der Autor ist also kein religiöser Gegner, sondern geht das Thema wissenschaftlich an, was ihm natürlich Kritik von fundamentalistischer Seite her einbringt.
Ein interessantes Kapitel behandelt die diversen Machwerke christlicher Fundamentalisten, die Heavy Metal als Teufelswerk entlarven wollten. Es gibt ja immer wieder Bücher wie "Sie wollen nur deine Seele", eigentlich nicht ernst zu nehmen, aber immer wieder für eine Schlagzeile in der BILD gut.
Die Texte behandeln diverse Themen, manche hätte man hier eigentlich nicht erwartet, irgendwie wird alles hier verarbeitet, was auch nur ungefähr mit dem Thema zu tun hat. Es gibt ja die Legende der sublimen Beeinflussung, im Musik-Bereich durch angebliche "Rückwärtstexte" auf Schallplatten bekannt geworden. Dieses Thema wird gut behandelt, dazu gibt es aber eine längere Abhandlung über sublime Beeinflussung generell beziehungsweise ob sie überhaupt möglich ist. Dabei wird es dann auch mal sehr wissenschaftlich. Klar, es ist als Diskussionsgrundlage wichtig, erst einmal zu klären, ob man durch sublime Beeinflussung überhaupt Erfolge erzielen kann, aber bei dem Buchtitel erwartet man, denke ich, nicht so eine Masse an Fakten und derart wissenschaftliche Aussagen. Dem fachlich interessierten Leser dürfte es jedoch freuen. Umfang und Preis sind natürlich auch dadurch erklärbar. Eventuell sollten Autor und Verlag über einen passenderen Buchtitel nachdenken, nicht jeden Heavy-Metal-Fan interessieren sublime Beeinflussung und Michael Jackson.
Gut gemacht ist die Einführung, wird dort doch der Bogen von Beat bis zu den aktuellen Bands wie Marylin Manson gespannt. Warum sind diese abgrenzenden Musik-Stile der Jugendrebbelion entstanden, gegen welche Vorurteile und Widerstände mussten die Fans von Anfang an gegenhalten, sind zwei Beispiele der Thematik. Ein wichtiges Thema ist natürlich vermeintlicher und realer Okkultismus/Satanismus bei Metal-Bands, aber auch NS-Black Metal findet Erwähnung. Genauestens wird die Geschichte der "Kinder des Satans" geschildert und ihres bekanntesten Mitgliedes, Hendrik Möbius. Übrigens anders als aus der Boulevardpresse bekannt und sehr interessant.
Die diversen Bandhistorien sind sehr informativ und gut recherchiert und bieten oftmals neue Fakten, zumindest denjenigen, die sich nicht alltäglich damit beschäftigen oder absolute Fans der Bands sind. Nichts zum hintereinander lesen, aber schön zum immer mal drin schmökern.
Das Fazit fällt etwas schwer: Sicherlich hat der Autor ein interessantes Werk vorgelegt, dass so ziemlich jeden Aspekt der Themen Populärmusik und Zensur behandelt. Die Fülle erschlägt erst einmal, aber man muss nur damit umgehen wissen.
Wer sich aus persönlichen oder beruflichen Interesse mit den Vorurteilen gegen Metal rumschlagen muss, finden hier eine gute Historie und Argumentationshilfe.
Auch wer nur die Bandgeschichten lesen möchte, findet viel Interessantes, zu vielen Bands sind mehr Mythen als Fakten im Umlauf. Diverse Querbezüge, wie die wissenschaftliche Abhandlung zum Thema sublime Beeinflussung und zum Beispiel der kulturwissenschaftliche Querbezüge zu Japan, sind interessant, passen aber nicht oder nur bedingt zum Buchtitel.
Dem Käufer erwartet also viel mehr, als er eventuell vermuten mag. Besonders Leser mit generellem Interesse an "kritischen" Medien werden absolut befriedigt, da ja zum Beispiel auch Mangas und Filme behandelt werden. Positiv ist, dass über den deutschen Tellerrand geschaut wird und auch Zensur in den USA und Großbritannien Thema sind.
Was gäbe es zu kritisieren? Alles etwas viel, aber dafür bekommt der Leser etwas für sein Geld. Das musikalische Urteilsvermögen Wehrlis ist leider nicht immer so ausgeprägt wie sein wissenschaftliches.
Kurz gesagt: Ein Pflichtkauf für jeden, der sich für Musik und Zensur interessiert und der erstens über den deutschen Tellerrand hinausblicken möchte und sich auch für andere Medien interessiert.