Als die Nachtmanagerin Kathrina Marino um 3 Uhr 58 ihren Arbeitsplatz in einer die Sportbar verlässt, sind die Straßen menschenleer. Mit dem Ziel nach Hause zu fahren und ein heißes Bad zu nehmen, steigt die junge Frau ins Auto und muss zu ihrem Leidwesen feststellen, dass in einem der Reifen keine Luft mehr ist. Bereits während sie den Schaden behebt, beschleicht sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Eine Wahrnehmung, die während der Fahrt nach Hause schnell in Vergessenheit gerät und deshalb ist der Schreck besonders groß, als kurz vor der Tür ihres Gartenappartements ein fremder Mann auf sie zutritt. Mit dem Instinkt eines Menschen, der weiß, dass etwas Schreckliches passiert, versucht Katharina Marino so schnell wie möglich, in ihre Wohnung zu gelangen. Doch der Mann ist schneller als sie und sticht wahllos auf ihren Körper ein.

Trotz der späten Stunde werden die Schreie der Frau von mehreren Nachbarn gehört. Sie treten ans Fenster, schauen hinaus und nehmen die zusammengesunkene Gestalt im Hof wahr. Doch anstatt zu helfen, wenden sie sich ab oder beschäftigen sich mit ihren eigenen Problemen. Wie der Postbote Thomas, der die Jalousie herunterlässt, um den Terror dort unten nicht sehen zu müssen oder Diane, die sich mit ihrem Ehemann Larry streitet, weil dieser fremdgeht. Aber auch ein missglückter Partnertausch sorgt für heftige Diskussionen und lässt den wütenden Parteien keine Zeit für einen rettenden Anruf bei der Polizei. Nur der 19-jährige Patrick, der seinen Einberufungsbefehl in den Händen hält und versucht, mit seiner schwer kranken Mutter eine Lösung für die Zukunft zu finden, öffnet das Fenster und ruft dem Täter zu, die Frau in Ruhe zu lassen. Ein kläglicher Versuch. Denn schon kurz darauf erscheint der Mann erneut und Katharina bleibt keine Chance, die rettende Wohnungstür zu erreichen.

"Ein Akt der Gewalt" ist ein Hörbuch, dessen Handlung auf einen wahren Fall beruht. Im Jahr 1964 wurde die in New York lebende Kitty Genovese etwa 30 Meter von ihrer Wohnungstür entfernt von einem Mann vergewaltigt, ausgeraubt und niedergestochen, bevor sie auf dem Weg ins Krankenhaus verstarb. Eine grausame Tat, die von mehreren Personen, allerdings nur teilweise, beobachtet wurde, ohne dass ihr jemand half.

Der Autor Ryan David Jahn hat den schockierenden Fall der erst achtundzwanzigjährigen Amerikanerin erneut aufgegriffen und in seinem Thriller verarbeitet. Während er sich an viele Originaldetails hält, wagt er den Versuch, den Menschen, die nicht gewillt waren, einer Frau in Not zu helfen, ein Gesicht zu geben. Dabei stattet er jeden seiner Protagonisten mit persönlichen Problemen aus und lässt sie, nur mit sich selbst beschäftigt, eine Ignoranz verkörpern, die für die heutige Zeit typisch ist. Ohne sich ihrer Schuld bewusst zu sein, stehen sie am Fenster, erkennen die Notlage der Frau und sind sich in ihrem Glauben sicher, dass ein anderer hilft. Ein plastisches Abbild einer Gesellschaft, in der Gleichgültigkeit und Egoismus an der Tagesordnung sind.

Gelesen wird der bewegende Thriller von David Nathan, der es wunderbar versteht, den in ihm handelnden Personen eine passende Stimme zu verleihen. Dabei stellt er die Panik des Opfers genauso greifbar dar wie die Verwunderung des Täters, als dieser am nächsten Morgen unbehelligt zur Arbeit fahren kann. Ein Hörbuch, das ans Herz geht und bei dem sich der Hörer nichts sehnsüchtiger wünscht, als in das Geschehen eingreifen zu können.

Fazit:
"Ein Akt der Gewalt" ist ein schockierendes wie bewegendes Debüt, das, gelungen umgesetzt, eine eindeutige Botschaft vermittelt. Ein Hörbuch, das jedem nur empfohlen werden kann!