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Mutter und Kind. Eine alltägliche Situation. Eine Idylle. Könnte man denken – doch die bürgerliche Normalität, der häusliche Friede liefern in den Fotografien des US-Amerikaners Gregory Crewdson ihre unter perfekten Oberflächen verdeckten Schattenseiten gleich mit. Die eben anzitierte Fotografie zeigt keine harmonische Mutter-Kind-Bindung, sondern – wie alle Bilder des Zyklus "Beneath the Roses" - Entfremdung, Befremden, Isolation, selbst da, wo nicht nur verlorene Einzelgänger verschwindend klein durch bedrückend präsente Vorstadtlandschaften geistern, sondern Menschengruppen.
Crewdons voyeuristischer Kamerablick ins bürgerliche Interieur offenbart hier jedoch auch keineswegs ein Horrorszenario: Der Schrecken liegt gerade in der Normalität, in der potenziellen Bedeutsamkeit des Bedeutungslosen. Durch ein Fenster sehen wir die Frau, die im Nachthemd auf einem Bett sitzt, sie wendet ihren ausdruckslosen Blick ihrem in Embryohaltung neben ihr liegenden Baby zu, bleibt ihm jedoch unverwandt abgewandt. Eine Glastür gibt den Blick auf ein angrenzendes, weiß gekacheltes Badezimmer frei. Nichts gibt einen Hinweis auf eine Katastrophe, und doch sucht der Betrachter unweigerlich nach deren Indizien, nach deren Folgen, nach deren Vorausdeutungen.
Neben dem beschriebenen "Plate 15" enthält der bei
Hatje Cantz erschienene Bildband neunzehn weitere Fotografien aus der "Beneath the Roses"-Serie, die Gregory Crewdson 2002 bis 2007 mit enormem Aufwand realisiert hat: Bis zu 150 Helfer waren nötig, um die minutiös durchkomponierten Tableaus vor Ort oder an eigens geschaffenen Sets zu realisieren, und nur durch aufwändige Aufnahmetechnik und Nachbearbeitung kann der Künstler den für ihn typischen hyperrealen Look mit einer durchgehenden Tiefenschärfe erreichen.
Auch in den Zyklus "Sanctuary" von 2009 gibt der Band einen Einblick. Die 21 vertretenen Schwarzweiß-Aufnahmen zeigen die römische Filmstadt Cinecittà, einst sagenumwobenes Zentrum der großen italienischen Filmautoren wie Federico Fellini und Roberto Rosselini, im Zerfall begriffen. So sehr die mit vergleichsweise einfachem Equipment und natürlichem Licht erzielten Aufnahmen der Ruinen auch im Gegensatz zu der farb- und lichtgewaltigen Suburbia-Stilisierung von "Beneath the Roses" zu stehen scheinen: Hier wie da ist es die morbide Schönheit, das Bröckeln der Fassaden, die die Faszination der Bilder ausmachen.
Den Abschluss der Zusammenstellung bildet ein Einblick in ein früheres Werk Gregory Crewdsons: "Fireflies". Zu sehen sind vierzehn der zahlreichen Fotografien, die der damals Mitte Dreißigjährige im Sommer 1996 bei einem Aufenthalt im Ferienhaus seiner Familie gemacht hat. Hier zeigt sich der Einbruch des Ungewöhnlichen in Form von Glühwürmchen-Schwärmen, die als reine Lichtpunkte die mal dämmrige, mal dunkle Nachtlandschaft einnehmen – und noch einmal eine völlig neue, mehr experimentelle essayistische Seite des Fotografen, der den meisten wohl vor allem als Meister der großen Inszenierung bekannt ist.
Man mag Gregory Crewdson der Epigonalität bezichtigen. Und tatsächlich sind seine Bilder ohne die Werke anderer Künstler nicht denkbar. Er selbst nennt in einem im vorliegenden Sammelband enthaltenen Einführungstext den Maler Edward Hopper als Vorbild und referiert auch auf andere Fotografen und Filmemacher wie Alfred Hitchcock, Steven Spielberg und David Lynch, deren Einfluss auf seine Rauminszenierung und Lichtchoreografie ebenfalls unübersehbar ist. Doch zum Vorwurf können Crewdson diese Reminiszenzen nicht gemacht werden: Seine Bilder leben gerade davon, dass sie ein kollektives Unterbewusstes zum Schwingen bringen, das maßgeblich von den visuellen Kulturen der USA, von Künstlern wie Hopper und vom Hollywood-Kino geprägt ist.
Bei "In a Lonely Place" handelt es sich um den Ausstellungskatalog zu einer gleichnamigen Werkschau des Fotografen, die in mehreren skandinavischen Hauptstädten und vom 2. Juli bis 4. September 2011 auch im C/O Berlin zu sehen ist. Wer noch keinen anderen Bildband mit Crewdson-Fotografien (z.B. die ebenfalls im
Hatje Cantz Verlag erschienenen Bücher zu "Beneath the Roses" oder "Sanctuary") sein Eigen nennt, bekommt hiermit eine gute Auswahl seiner Arbeiten der letzten Jahre zu sehen und mit der "Fireflies"-Serie zudem eine noch etwas weniger beachtete Seite des Künstlers. Ergänzt werden die Fotografien sinnvoll durch eine kurze Einleitung sowie drei weitere Texte, die eine Einführung in Gregory Crewdsons Werk geben. (Zu den englischen Aufsätzen gibt es im Anhang auch eine deutsche Übersetzung.)
Der Bildband wurde im Querformat 31,30 x 21,70 cm und in edler Leinenbindung herausgegeben. Die Bilder kommen optimal zur Geltung, indem ihnen jeweils eine ganze Seite eingeräumt und die gegenüberliegende Seite frei gelassen wird. Und die Druckqualität (teilweise in Triplex) ist exzellent.
Einen Blick in das Buch kann man auf der Verlagsseite werfen.