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Über die "Wende" und das Ende der DDR ist in den letzten beiden Jahrzehnten bereits unendlich viel geschrieben und veröffentlicht worden. Dabei geht in der Flut der historischen und politischen Betrachtungen jedoch eines manchmal unter: die persönlichen Ansichten der DDR-Bürger, die die friedliche Revolution Ende der 1980er Jahre hautnah miterlebten. Die "Thüringer Allgemeine" – eine der größten regionalen Tageszeitungen Deutschlands – veröffentlicht im Rahmen der redaktionellen Serie "Meine Wende" seit einiger Zeit in loser Reihenfolge Eindrücke, Erfahrungen und Berichte von Menschen aus Thüringen, die die Wende miterlebten, und lässt sie aus ihrem Leben erzählen, sowohl vor als nach der Öffnung der Grenze.
"Meine Wende – Wie Thüringer die friedliche Revolution meisterten" bündelt die einzelnen Beiträge der inzwischen preisgekrönten Zeitungsserie.
Herausgekommen ist dabei ein beeindruckend vielseitiges Kaleidoskop an Gefühlen und Stimmungen und ein tiefer Einblick in das Seelenleben derjenigen, die eines der wichtigsten historischen Ereignisse unserer Zeit aus erster Hand erlebt haben. Das Buch lässt mehr als vierzig Personen jeweils auf drei bis fünf Seiten zu Wort kommen und steuert auch entsprechendes Bildmaterial bei. Die Beiträge beschränken sich weniger auf den tatsächlichen Zeitpunkt des Mauerfalls, obwohl dieser natürlich auch von den meisten erwähnt wird, sondern bieten eher einen Bericht vom "Davor" und vor allem vom "Danach".
Faszinierend ist die Bandbreite menschlichen Alltagslebens, die sich in den einzelnen Beiträgen widerspiegelt – vom Politiker bis zur Ein-Euro-Jobberin, vom Theologen bis zur inhaftierten Republikflüchterin, vom Berufsmusiker bis zum Bürgermeister, von der Redakteurin bis zur Getränkemarkt-Händlerin: Jeder Beitrag ist einzigartig und offenbart reflektierte Gedanken, die vor allem auch für diejenigen interessant sind, die die DDR gar nicht oder nur aus Erzählungen kennen – also alle, die erst später geboren sind, die Zugezogenen und nicht zuletzt die "Wessis", denen die kleinen autobiografischen Betrachtungen eine völlig neue Perspektive auf das Leben im totalitären System und auf die deutsche Einheit eröffnen dürfte.
Interessant ist nicht nur die Vielfalt der erzählenden Personen, sondern auch die teils sehr unterschiedliche Bilanz, die sie jeweils ziehen. Während für manche die Wende die Chance ihres Lebens oder der langersehnte und kaum noch erhoffte Befreiungsschlag war, zerstörte sie die Lebensträume anderer. Während die einen beruflich sehr erfolgreich wurden und sich ein völlig neues Leben aufbauten, kämpfen andere noch heute mit den Spätfolgen des Umbruchs. Viele Berichte sind emotional packend, andere sachlich-ruhig, wieder andere Stimmen wirken desillusioniert. Vor allem sind die mehr als vierzig kleinen Berichte aber eins: Sie bieten ein wahrhaftiges Zeitzeugnis einer hochspannenden Epoche der deutschen Geschichte und bereichern damit die unzähligen Bücher über den Mauerfall um eine ganz spezielle, sehr persönliche Komponente.
"Meine Wende – Wie Thüringer die friedliche Revolution meisterten" ist ein lebendiges Stück Zeitgeschichte, kurzweilig zu Papier gebracht und trotzdem tiefgründig. Definitiv sehr lesenswert und interessant, auch oder gerade für "Wessis"!
Die Serie "Meine Wende" wird laufend fortgesetzt und kann in der Thüringer Allgemeinen weiter verfolgt werden.