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 Empathie und Erzählung


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Das alte Konzept der "Einfühlung", das der deutsche Philosoph und Psychologe Theodor Lipps Ende des 19. Jahrhunderts stark machte, hat es im letzten Jahrzehnt zu neuen Ehren gebracht, und zwar unter dem neuen Namen der "Empathie". Nicht nur im Alltagsgebrauch, sondern auch in den verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen ist dieser Begriff omnipräsent. Vor allem in den boomenden Neurowissenschaften ist das empathische Hineinversetzen in andere seit der vermutlichen Entdeckung seiner biologischen Grundlagen in Form der sogenannten Spiegelneuronen ein wichtiger Forschungszweig. Unter diesen neuen Vorzeichen hat die Beschäftigung mit Phänomenen der Einfühlung in andere Menschen, aber auch in fiktive Figuren und Kunstwerke auch in den Geisteswissenschaften neuen Auftrieb bekommen.

Die Germanisten Claudia Breger und Fritz Breithaupt haben nun im Rombach Verlag einen Sammelband herausgegeben, dessen Beiträge sich aus literaturwissenschaftlicher Perspektive mit dem Themenkomplex "Empathie und Erzählung" auseinandersetzen. Nach einer kurzen Einleitung der Herausgeber zur Geschichte des Empathiekonzepts und zum Aufbau des Buches liefert jedoch zunächst ein Aufsatz des berühmten italienischen Neurowissenschaftlers Vittorio Gallese, des Entdeckers der Spiegelnervenzellen, einen Einstieg in das Thema. Anschließend eröffnen zwölf literaturwissenschaftliche Texte unterschiedlicher Autoren ein breites Spektrum möglicher Einzeluntersuchungen zum Verhältnis von Empathie und Narration. Als roter Faden zieht sich dabei die Frage nach der Geschichte der Empathie durch die Beiträge und daran anknüpfend auch die Frage nach gattungs- und medienspezifischen Formen von Empathie. In diese genealogische Perspektive leitet Rüdiger Campe ein mit einem Abriss über die Ursprünge einer Rhetorik der Empathie in der juristischen Praxis des alten Athens. Außer einem Aufsatz zu vorchristlichen Empathietechniken von Johannes Türk konzentrieren sich die Analysen auf den Zeitraum vom 18. Jahrhundert bis heute. Behandelte Autoren sind unter anderem Denis Diderot, William Godwin, Johann Wolfgang von Goethe, Adalbert Stifter und Wilhelm Raabe. Der Aufsatz von Johannes von Moltke beschäftigt sich darüber hinaus mit Sönke Wortmanns Film "Das Wunder von Bern", und Claudia Breger wirft einen Blick auf Andreas Veiels Multimedia-Projekt "Der Kick".

Der Sammelband zu "Empathie und Erzählung" ist Pflichtlektüre für jeden, der sich aus literaturwissenschaftlicher Perspektive mit dem Themenkomplex beschäftigt. Das gilt nicht nur für diejenigen, die konkret zu einem der behandelten Autoren arbeiten, denn neben den Erkenntnissen der Einzeltextanalysen werden in jedem der Aufsätze auch systematische Fragen behandelt – und zum Teil ganz unterschiedlich beantwortet. Auf diese Weise ergibt sich ein differenzierter Blick auf das Thema, der eine gute Grundlage schafft und zum Weiterdenken anregt.

Silke Hettich



Softcover | Erschienen: 15. Mai 2010 | ISBN: 978-3793096207 | Preis: 46 Euro | 321 Seiten | Sprache: deutsch

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