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Falk ist vierzehn Jahre alt, als er mit seinen Eltern und seiner Schwester Sonja in den langersehnten Urlaub gen Plattensee aufbricht. Der Junge ahnt zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass seine Eltern den "Urlaub" schon lange geplant haben und dass er seine Heimat, die DDR, sehr lange Zeit nicht mehr wiedersehen wird. Er ahnt auch nicht, dass Sonja bei dieser Republikflucht von ihm und den Eltern getrennt wird und dass er auch den Vater schließlich lange Jahre nicht mehr wiedersehen wird.
Die Flucht aus der DDR bringt erschreckend viel Neues und Aufregendes, einige wunderbare Momente – unter anderem die Freundschaft zu Karen, mit der Falk auch seine ersten sexuellen Erfahrungen macht und in die er sich unsterblich verliebt -, aber auch massenhaft Probleme und Schikanen, vor allem auf der neuen Schule, auf die Falk im Westen geht und wo er immer der "dicke Ostler" bleiben wird. Tatsächlich spitzen sich über die Jahre Mobbing und Bösartigkeiten innerhalb der Klasse immer weiter zu. Auf einer Klassenfahrt nach Frankreich kommt es schließlich zur Katastrophe.
Viele Jahre später ist Falk berühmt geworden. Seinen alten Namen hat er abgelegt, als "Martin Gold" ist er ein äußerst erfolgreicher Musiker, der im Radio und auf MTV rauf und runter gespielt wird und der Konzerte vor Menschenmassen gibt. Als ihn dann völlig überraschend ein Anruf einer ehemaligen Mitschülerin erreicht, die zwanzig Jahre nach dem gemeinsamen Abi ein Klassentreffen zum organisiert, plant Falk/Martin seine Rache …
Tom Liehrs Roman "Sommerhit" erweckt durch Cover und Titel, vor allem aber auch den Vergleich mit Nick Hornbys "High Fidelity" auf der Rückseite des Umschlags den Eindruck, es sei ein heiterer Sommer-Roman, eventuell eine Coming of Age-Story oder der Bericht einer Jugendliebe – was aber nicht zutrifft. Der aufgedruckte Vergleich ist eigentlich ziemlich unglücklich; zwar spielt auch in "Sommerhit" Musik eine Rolle, aber das war es dann auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Tom Liehrs Roman dreht sich zum einen intensiv um die Flucht des Protagonisten aus der DDR und die Folgen, die dies nach sich zieht, zum anderen um Mobbing, Gewalt und Rachegedanken sowie das Leben danach, wenn die Hauptfigur sich von den alten Quälgeistern befreit und eine erfolgreiche Karriere startet. Heiter ist der Roman überhaupt nicht, auch wenn es durchaus schöne Momente gibt.
Der Bericht von Falks Leben "im Osten" und die daran anschließende Flucht, die im Endeffekt die Familie auseinander reißt und teilweise ins Unglück stürzt, liest sich wie ein spannendes Zeitzeugnis und wartet mit einer großen Detailfülle auf, die allen Lesern, die selbst in der DDR aufgewachsen sind und die geschilderten Dinge aus erster Hand kennen, sicherlich gefallen wird. Der Teil, der von der verhängnisvollen Klassenfahrt berichtet, ist hässlich und brutal, wirkt aber auf jeden Fall authentisch.
Leider wird man mit dem Roman trotz der spannenden Themen nicht wirklich warm, was hauptsächlich an Liehrs Stil liegt. Er schreibt sehr spröde, distanziert und unterkühlt, so dass sich das Buch durchgängig wie eine sachlich gehaltene Autobiografie oder ein sehr nüchterner Tatsachenbericht liest. Dieser Stil kann einem durchaus liegen, in diesem Fall hat er die Rezensentin allerdings überhaupt nicht überzeugt, ja sogar die Handlung ein wenig verleidet.
Anstrengend ist auch auf Dauer die pausenlose Ausschmückung olfaktorischer Eindrücke, die der Protagonist von seiner Umgebung hat. Falk hat einen außergewöhnlich guten Geruchssinn, der es ihm erlaubt, auch schwächste Düfte auf große Entfernung wahrzunehmen und vor allem Personen stets an ihren Gerüchen zu erkennen und zu kategorisieren. Das ist anfangs noch reizvoll und außergewöhnlich, später aber abstoßend – auf jeder Doppelseite ist mindestens eine Person, die nach Angstschweiß, käsigen Füßen, Urin, Fäulnis oder Sex riecht. Meistens sind es Männer, die Falk mit ihren Gerüchen abstoßen – und den Leser gleich mit; die Frauen duften meistens verklärend nach "süßem Schweiß", Seife und Shampoo. Die Geruchsbesessenheit trägt leider nicht wirklich etwas zur Handlung bei, sondern erweckt beim Leser eher Widerwillen gegen die hypersensible Wahrnehmung der Hauptfigur.
"Sommerhit" ist ein vielschichtiger Roman um Freundschaft und Liebe, Lebensschicksale, Rache und Abrechnung, Gewalt und Außenseitertum. Leser, denen der schmucklose, nüchterne Stil des Autors gefällt, werden das facettenreiche Buch mögen. Ist dies nicht der Fall, ist der Roman leider sehr anstrengend zu lesen.