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 Sid Meier's Civilization: Das Brettspiel


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Glück
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Spielregel
Strategie
So viele Zivilisationen … wer soll denn da noch durchblicken? Das neue Brettspiel "Sid Meier's Civilization: Das Brettspiel" (nicht zu verwechseln mit dem Brettspiel "Sid Meier's Civilization: Das Brettspiel" aus dem Jahr 2002 (seinerseits nicht zu verwechseln mit dem Videospiel "Sid Meier's Civilization" (wiederum nicht zu verwechseln mit dem Genre-Urknall "Civilization" von Francis Tresham))) ist der jüngste Spross in einer langen Reihe von Brett- und Videospielen, die sich mit der kulturellen Entwicklung der Menschheit befassen.

Das Thema hat unter Spielern eine Popularität, die sonst nur Freibier und barbusigen Frauen vorbehalten ist – zu Zeiten des Oktoberfests sorgt das für echte Interessenkonflikte. Was also kann "Sid Meier's Civilization: Das Brettspiel" (das fortan nur als "Civilization" bezeichnet wird, soll die Marketing-Polizei ruhig kommen!) auf den Tisch bringen, das nahezu perfekte Vertreter des Genres wie "Im Wandel der Zeiten" nicht bereits dort hingelegt haben? Die Antwort: Ja, doch, einiges!

Das fängt schon mal mit den sage und schreibe vier verschiedenen Siegbedingungen an, mit denen man eine Partie "Civilization" für sich entscheiden kann. Man kann einfach haufenweise Geld scheffeln und so einen wirtschaftlichen Sieg erringen. Oder man forscht fleißig, um als Erster die Raumfahrt zu entdecken. Alternativ investiert man massenhaft Ressourcen in den kulturellen Ausbau der eigenen Zivilisation, um einen Kultursieg zu erringen. Oder man walzt einen anderen Mitspieler einfach platt und nimmt seine Hauptstadt ein. Abgesehen von der Kulturleiste fällt das mittlerweile klassische Abtragen von Siegpunkten auf irgendeiner Skala damit flach. Das ist schon mal erfrischend.

Fragt der geneigte Vielspieler nach dem zugrunde liegenden Spielmechanismus, so muss sich der geneigte Vielrezensierer zunächst leicht beschämt am Kopf kratzen. So wirklich Worker Placement, also das Einsetzen von Aktionssteinen, ist es nicht. Um Mehrheiten dreht sich "Civilization" auch nicht, und mit Karten oder Aktionspunkten wird das Spiel auch nicht wirklich gesteuert. Wie im Videospiel, an dem sich die neue Brettspielversion sehr eng orientiert, dreht sich in "Civilization" alles um die Städte, von denen jeder Spieler auf dem aus quadratischen Feldern bestehenden Spielplan bis zu drei errichten kann. Jede Stadt hat dabei ein Einzugsgebiet, über das sie Handelspunkte, Ressourcen, Kultur- oder Produktionspunkte generiert. Eine an Wäldern und Bergen gelegene Stadt wird viele Produktionspunkte haben, eine Küstenstadt vor allem Handelspunkte. Durch den Bau von Minen, Häfen, Handelsposten, Bibliotheken, Tempeln und so weiter kann man den Ertrag einer Stadt in nahezu allen Bereichen erhöhen und diese im Laufe des Spiels weiterentwickeln – je nachdem, was diese in erster Linie produzieren soll. Viele Produktionspunkte sind gut, um Militäreinheiten zu bauen. Mit Kulturpunkten kann man auf der passenden Leiste Richtung Sieg voranschreiten und dabei mächtige Ereigniskarten und Persönlichkeiten aufsammeln. Und Handelspunkte braucht man, wenn man neue Technologien erforschen möchte.

Das Forschen stellt einen zweiten wesentlichen Teil des Spiels dar. Wenn man genug Handelspunkte hat, kann man eine Technologie erforschen, die für den Rest des Spiels Vorteile bringt, wie etwa neue Gebäude, bessere Militäreinheiten oder eine höhere Zugweite für die eigenen Figuren auf dem Spielplan. Darüber in den ersten Partien den Überblick zu behalten ist fast schon hoffnungslos, so viel Auswahl an Forschungsprojekten gibt es. Die meisten Spieler dürften durch die Komplexität von "Civilization" ohnehin sehr gefordert, wenn nicht gar überfordert werden, schließlich kommen neben dem Management der Städte und Technologien auch noch das Verhandeln mit den anderen Spielern sowie der militärische Aspekt hinzu.

Zugegeben, zu verhandeln gibt es wenig. Theoretisch können die Spieler Ressourcen, Kulturpunkte oder Karten untereinander austauschen, praktisch geschieht dies jedoch fast nie, da es zum Handeln einfach keinen Bedarf gibt. Auch militärisch versucht "Civilization", Neuland zu betreten und gleichzeitig, der Computerspielvorlage gerecht zu werden. Auf dem Spielplan zieht man Armeen in Form von Plastikfiguren durch die Gegend, deren einzelne Einheiten durch Karten repräsentiert werden. Wie eine Armee zusammengesetzt ist, entscheidet sich erst in der Schlacht und dann auch mehr oder minder durch Zufall, da man von all den Infanterie-, Artillerie- und Kavallerie-Einheiten, die man gekauft hat, für die Schlacht nur eine bestimmte Zahl auf die Hand nimmt. Diese Einheiten schicken die Spieler dann abwechselnd nach einem Stein-Schere-Papier-Prinzip aufeinander los – wer danach die größte Streitmacht übrig hat, gewinnt. Das ist ein unverbrauchtes Prinzip und funktioniert auch irgendwie, nur ist es selbst für gestandene Zocker und Regelwälzer am Anfang ziemlich verwirrend.

Zwischen vier Siegbedingungen, einem komplexen Rundenablauf, einem verwirrenden Kampfsystem und einer einschüchternden Anzahl an Handlungsmöglichkeiten schwirrt einem bei den ersten Partien dann auch zunächst nur der Kopf. Ein bisschen einfacher macht es dabei die Wahl der eigenen Zivilisation, von der es sechs verschiedene gibt. Als Deutscher ist man militärisch stärker aufgestellt, als Russe besonders tüchtig in der Forschung und als Chinese sammelt man Kulturpunkte wie ausländische Staatsanleihen. Am Anfang hilft das, um eine etwas klarere Linie zu finden und die eigene Zivilisation etwa zur großen Kulturproduktionsmaschine umzufunktionieren. Nach ein paar Partien wird dieser Segen jedoch schnell zum Fluch, schließlich ist man mit einigen der Zivilisationen von Anfang an regelrecht dazu gezwungen, auf eine bestimmte Siegbedingung zu spielen, um die eigenen Stärken auch voll ausnutzen zu können.

Überraschend dabei ist, wie gut ausbalanciert die vier Siegbedingungen geraten sind. In mehreren Partien konnten drei verschiedene Zivilisationen das Spiel in derselben oder der nächsten Runde auf drei verschieden Arten beenden. Da mag der Kultursieg etwas schwieriger erscheinen als das Gewinnen über Technologie, aber er ist prinzipiell möglich. Und mit dem Einnehmen einer fremden Hauptstadt muss man gen Ende fast immer rechnen. Das kann hochspannend werden und schlägt dabei mit einer Dauer von maximal vier Stunden für das Genre keineswegs aus dem zeitlichen Rahmen. Doch man mache sich nichts vor, das neue "Civilization"-Brettspiel ist nichts für Anfänger, sondern nur was für echte Zocker und Fans des Videospiels. Vor allem letztere werden sich darüber freuen, viele bekannte Elemente der Vorlage im Brettspiel wieder zu entdecken, etwa die verschiedenen Siegbedingungen, den Ausbau der Städte oder das Errichten von Weltwundern.

"Civilization" ist sehr komplex, aber auf seine Weise auch innovativ und – das kann man in der Landschaft der Brettspiele auch nicht mehr häufig sagen – einzigartig. Vor allem die Idee mit der Technologiepyramide, bei der man eine höherwertige Technologie erst dann erforschen darf, wenn man zwei der niedrigeren Stufe entdeckt hat, ist so genial einfach, dass man sich fragt, warum da vorher noch niemand dran gedacht hat. Und wenn man mit dem System einmal warm geworden ist, können sich richtig abwechslungsreiche und spannende Partien entwickeln. Schade nur, dass man sich durch die eigene Zivilisation genau dann in ein enges Rollenkorsett gezwungen sieht, wenn man Lust bekommt, mit den verschiedenen Möglichkeiten des Spiels ein wenig zu experimentieren. Und irgendwie fehlt auch dieses für das Genre eigentlich zentrale Gefühl, sich wirklich von der Steinzeit bis hin zur Moderne weiterzuentwickeln, eine Reise durch die Menschheitsgeschichte nachzuspielen.

Um den Klassenprimus "Im Wandel der Zeiten" vom Thron zu stoßen, reicht es also nicht. Dafür kann jedoch die unausgegorene Materialschlacht "Sid Meier's Civilization: Das Brettspiel" aus dem Jahr 2002 wieder vergessen gemacht werden. Überhaupt gibt sich das neue "Civilization" für ein Spiel aus dem Hause Fantasy Flight Games erstaunlich zurückhaltend in der Ausstattung. Das Artwork ist wie immer über jeden Zweifel erhaben, aber statt einer Flut von Plastik gibt es nur ein paar dezente Figuren und ansonsten … na okay, die gewohnte Flut aus Pappmarkern und Spielkarten. Für den Preis von ca. 40,- € geht das jedenfalls völlig in Ordnung, auch angesichts der Spieltiefe. Bis man die einmal ergründet, bis man zwischen all den Zivilisationen den Durchblick erlangt hat, hat sich diese Investition auf jeden Fall gelohnt.

Julius Kündiger



Brettspiel | Erschienen: 21. Oktober 2010 | Originaltitel: Sid Meier's Civilization: The Board Game | Preis: 40 Euro | für 2 - 4 Spieler | Sprache: Deutsch

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