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Es ist kein gänzlich unbelasteter Gang, als der US-amerikanische Fotograf Mitch Epstein 2008 den "Berlin Prize in Arts and Letters" erhält und auf die damit verbundene Einladung der American Academy hin 2008 für ein halbes Jahr mit seiner Familie in die deutsche Hauptstadt zieht. Epstein wurde 1952 in einer jüdisch-amerikanische Familie hineingeboren, in die der Holocaust noch immer schmerzende Wunden geschlagen hat...
Mitch Epstein ist der erste seiner Familie, der nach dem Zweiten Weltkrieg wieder einen Fuß nach Deutschland setzt. In Berlin ist er schnell fasziniert von der Atmosphäre einer Stadt, in der sich so unterschiedliche Phasen nicht nur der deutschen, sondern der Weltgeschichte noch immer sichtbar übereinanderschichten. Die Entscheidung, auch die weniger erfreulichen Kapitel der Stadtchronik nicht gänzlich zum Verblassen zu bringen, auch mahnende Erinnerungen aufrechtzuerhalten, bewundert der Fotograf: "Berliners have chosen to leave traces of the worst of themselves in their architecture and landscape. They have understood what a largely amnesiac America has not: reform relies on memory."
In dem im
Steidl Verlag erschienenen Fotoband "Berlin" dokumentiert Epstein architektonische Überbleibsel aus den Jahren der Nazi-Herrschaft und der Nachkriegszeit in Ost- und West-Berlin sowie prägnante Momente und Monumente der Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands. Auf jeweils einer Doppelseite sind beispielsweise der jüdische Friedhof in Weißensee zu sehen, das Konzentrationslager Sachsenhausen, die Gedenkstätte Hohenschönhausen, der Teufelsberg, Büros und Verhörzimmer der Stasi, die Straßenkreuzung am "Checkpoint Charlie", das Holocaust-Mahnmal sowie das Brandenburger Tor als Ort der Rede des Dalai Lamas im Jahr 2008.
Mitch Epstein hat mit seiner Großformatkamera Bilder eingefangen, die ihre Wucht gerade aus ihrem lakonischen Understatement heraus entwickeln. Sein Berlin erscheint meist menschenverlassen. Es sind die nackten Gebäude und Infrastrukturen, die vom Leben zeugen. Epstein fängt sie mit einem nüchtern-dokumentarischen Blick ein, mit einer bestechenden Präzision des Blickes und der Technik. Zugleich ist der Einfluss anderer amerikanischer Berufskollegen unverkennbar, die wie William Eggleston oder Jeff Wall durch die unmerkliche Komposition und komplexe Farbgestaltung ihrer Bilder der glatten Realität ihre geradezu surrealistischen Seiten abgewinnen.
Bei Epsteins Fotografien frappiert die Selbstverständlichkeit, mit der Gegensätze aufeinanderprallen. Das betrifft nicht nur die berühmte Fotografie grasender Elefanten vor den Plattenbauten in Lichtenberg. Besonders deutlich scheint Epsteins Blick auf Berlin in seiner Aufnahme des Checkpoint Charlie transportiert zu werden: Noch immer kennzeichnen Schilder und andere Reminiszenzen an die Vergangenheit den ehemaligen Grenzpunkt zwischen Ost und West als einen Ort, der zu den geschichtsträchtigsten und emotional aufgeladensten des Kalten Krieges gehört, zugleich umgeben ihn der kapitalistische Trubel der heutigen Friedrichstraße mit ihren großformatigen Werbeplakaten.
Mitch Epstein reiht sich ein in die großen Namen der US-amerikanischen Farbfotografie. Die 37 in "Berlin" zusammengestellten Fotografien bieten eine gute Gelegenheit, diesen großen Fotografen, der in Deutschland bislang noch lange nicht so bekannt ist wie in seiner Heimat, kennenzulernen - oder die eigene Sammlung von Epstein-Fotobänden zu ergänzen. Das Buch ist vom renommierten
Steidl Verlag wie immer in makelloser Qualität als aufwändiger Leinenband im Pappschuber herausgegeben worden.