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W. Eugene Smith wurde nur 59 Jahre alt, doch er hat den Fotojournalismus beziehungsweise den Foto-Essay massiv geprägt. Sechs seiner Fotoserien wurden im hier besprochenen Buch aus dem Kehrer-Verlag veröffentlicht, zusammen mit sehr informativen Texten von Smith, in denen er unterschiedliche Aspekte seines Lebens und Wirkens erläutert, sowie Essays von Britt Salvesen und Enrica Viganò.
Den Prolog bildet Smiths Reportage über ein bettelarmes spanisches Dorf aus dem Jahr 1950; hier werden die Fotos von Smiths originalen Notizen über die Portraitierten, das soziale und politische Umfeld (Franco-Diktatur) und das Zustandekommen einzelner Aufnahmen begleitet. Es schließen sich Salvesens biografischer Essay, Viganòs Ausführungen zu Smiths Arbeitsstil und Smiths "Autobiografische Erklärung" an. Darauf folgen die Foto-Essays "Landarzt" (1948), "Hebamme" (1951), "Ein Mann der Barmherzigkeit" (1954) – hierbei dokumentierte Smith das Wirken von Albert Schweitzer - , "Pittsburgh" (1955) und "Minamata" (1971-1973).
Im Epilog erläutert Smith, wie es ihm gelang, eine zweijährige Blockade bezüglich des Fotografierens zu lösen, die durch eine im Krieg davongetragene schwere Verwundung bedingt war.
Schon die ersten Fotos aus der Spanien-Serie, verknüpft mit Smiths schriftlichen Beobachtungen und Kommentaren, machen es dem Betrachter und Leser schwer, wenn nicht unmöglich, das Buch wieder aus der Hand zu legen. Smiths Fotos haben etwas ungeheuer Fesselndes, das bei dem Spanien-Essay besonders stark hervortritt. Fotos, die gewissermaßen aus der Deckung heraus gemacht wurden – heute würden wir das als "Street-Fotografie" bezeichnen – wechseln sich mit Portraits aus nächster Nähe ab, bei denen der Fotograf gleichwohl in keiner Weise präsent scheint; die Personen sind aufeinander oder auf ihre jeweilige Tätigkeit fixiert. Smith bringt die ganze Armut, das Elend der Menschen aus der Extremadura der frühen 50er-Jahre ins Bild, ohne die Portraitierten ihrer Würde zu berauben. Zugleich präsentiert er dem Betrachter ein umfassendes Bild der Infrastruktur, des kulturellen und sozialen Lebens des Dorfes, das er besucht hat.
Völlig andere Szenen bietet natürlich der Essay über den Alltag eines US-amerikanischen Landarztes, dessen aufreibende und mitunter auch seelisch sehr belastende Arbeit Smith trefflich dokumentiert. Vom Thema her nicht unähnlich, jedoch in den schwarzen Elendsquartieren der Südstaaten angesiedelt ist die Dokumentation zur Arbeit einer sich aufopfernden Hebamme. Auch in der Arbeit über Schweitzer geht es um den selbstlosen Einsatz im Sinne der Gesundheit Anderer, allerdings in Afrika und unter noch schwierigeren Bedingungen.
Die Serie über die Industriestadt Pittsburgh bietet ein sehr weites thematisches Spektrum; sie war Smiths erste freiberufliche Arbeit – und aus finanzieller, wenngleich nicht aus künstlerischer Sicht, ein Desaster für ihn. Minamata dürfte nicht jedem Leser bekannt sein. In den 70er-Jahren erkrankten zahlreiche Menschen um die gleichnamige japanische Bucht an einer rätselhaften Krankheit, die viele das Leben kostete und auf hochgiftiges Quecksilber im Abwasser zurückzuführen war, das sich in den von den Menschen verzehrten Fischen anreicherte. Smith und seine Frau dokumentierten die Betroffenen, ihre Familien, Proteste und halbherzige Aktionen der Politiker.
Die Texte bringen dem Leser und Betrachter Smiths Charakter, seine Motivation und sein Herangehen näher und geben ihm auch einen Eindruck davon, welche Bedeutung Smith für den Fotojournalismus hatte und hat.
Smiths aussage- und ausdrucksvolle Fotos kommen dank dem großzügigen Format des Buchs vorzüglich zur Geltung. Viele Aufnahmen sind ganzseitig, manche umfassen sogar eine Doppelseite. Das hochwertige, reflexionsarme Papier und die Druckqualität überzeugen ebenso wie der Aufbau und die Gestaltung. Der Verlag hat einen großartigen Band konzipiert, der die ohnehin tief anrührenden, dabei aber nie ihren Dokumentationscharakter verleugnenden Fotos beeindruckend präsentiert und interessante und wichtige Informationen über Smith und sein Werk zur Verfügung stellt. Gemessen an der Qualität ist das Buch geradezu preiswert und kann jedem an Fotografie, aber auch an Zeitgeschichte und sozialen Themen der Mitte des 20. Jahrhunderts Interessierten nur bestens empfohlen werden.
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