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 Meine Zeitung

Kommentierte Bibliographie einer Unterhaltungszeitschrift aus der Weimarer Republik


Cover
Gesamt ++++-
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis
1924 erschien im Hermann Thümmler Verlag in Chemnitz "Meine Zeitung", eine Unterhaltungszeitschrift, deren Beiträge ein breites Spektrum abdeckten – sowohl hinsichtlich ihrer Qualität als auch der Gattungen, die sie vertraten. Kurzgeschichten und Gedichte waren ebenso enthalten wie Novellen und Romane in Fortsetzungen. Gespenstergeschichten trafen auf Humoresken, Kriminalerzählungen auf Bergromane, Erstveröffentlichungen auf Neuabdrucke; später nahm das Blatt auch Übersetzungen populärer englischer und französischer Autoren wie Sax Rohmer oder Gaston Leroux auf.
Ein buntes Reservoir an literarischen Texten unterschiedlichster Gangarten und Niveaus, die in Vergessenheit geraten sind – wie das Magazin selbst, das es bis 1929 immerhin auf 137 Nummern brachte. Heute schlummert "Meine Zeitung" unentdeckt in Bibliotheken und privaten Sammlungen, und es gehört eine gehörige Portion Glück dazu, einzelne Hefte in Antiquariaten aufzustöbern – von kompletten Jahrgängen einmal gänzlich schweigen. Die Suche wird zusätzlich noch dadurch erschwert, dass das Magazin mit fast jedem Jahrgang seinen Namen änderte.

Der Umstand, dass dieses Unterhaltungsblatt aus der Weimarer Republik den größten Fundus an unbekannten phantastischen Erzählungen neben der bekannten Genre-Zeitschrift "Der Orchideengarten" (1919-1921) enthält, rief den renommierten Phantastikforscher Robert N. Bloch und den Verleger Gerhard Lindenstruth auf den Plan, die dieses bislang unentdeckt gebliebene Land nun erstmals bibliographisch erforscht haben. Herausgekommen ist dabei eine wahre Pionierarbeit in Gestalt einer kleinen kommentierten Bibliographie, die nicht ungewürdigt bleiben darf.

Was für die anderen Bibliographien gilt, die Bloch bereits im Verlag Lindenstruth vorgelegt hat, gilt auch für seinen jüngsten bibliographischen Streich: Er gefällt durch seinen Blick fürs Wesentliche. Die Inhalte der einzelnen Hefte werden chronologisch aufgeführt, wobei sich die Angaben zu den Beiträgen auf Autor und Titel beschränken; dadurch bleibt die Bibliographie übersichtlich und ausufernde Informationsfluten werden so konsequent vermieden. Zu Beginn eines jeden Jahrgangs stellt Bloch ferner Informationen zu Verlag und Verlagsort, Schriftleitung, Heftformat, durchschnittliche Seitenanzahl der Ausgaben sowie zu Titeländerungen bereit. Mit ihrem überschaubaren Aufbau und einem schlichten Layout erklärt sich die Anwendung der Bibliographie von selbst, der Benutzer muss sich nicht erst durch abschreckende Gebrauchsanweisungen in Form aufgeblähter Vorworte quälen, sondern kann quasi sofort einen Recherche-Schnellstart hinlegen. Stellenweise eingestreute Abbildungen von Originalillustrationen lockern die Bibliographie angenehm auf und geben zugleich einen Eindruck von der grafischen Seite von "Meine Zeitung". Ein knapp gehaltenes wie informatives Vorwort, ein Autorenindex sowie kurze biografische Notizen zu ausgewählten Autoren runden die Bibliographie ab.

Bedauerlicherweise trüben kleine Schönheitsfehler im Detail die beachtenswerte Arbeit, die Bloch und Lindenstruth mit ihrer kleinen Bibliographie vollbracht haben. So werden etwa nur Kurzgeschichten, Novellen und Romane aufgeführt, Gedichte und Artikel werden außen vor gelassen. Ferner wäre ein Titelindex ebenso wünschenswert gewesen wie ein Register zu den in "Meine Zeitung" vertretenen Illustratoren. Auch werden Pseudonyme nur im Autorenindex aufgeschlüsselt, nicht aber in den bibliographischen Einträgen selbst. Den größten Makel jedoch bildet die lückenhafte Kommentierung: Lediglich phantastische und unheimliche Erzählungen und Fortsetzungsromane werden von Bloch kommentiert, der übrige Textkorpus – Abenteuergeschichten, Kriminalerzählungen, sentimentale Novellen etc. – wird in der Bibliographie nackt aufgeführt.

Nun ließe sich gewiss argumentieren, die Namen Bloch und Lindenstruth, die seit Jahren für die Wiederentdeckung vergessener phantastischer Texte stehen, würden eine Fokussierung allein auf Beiträge phantastischer Spielart rechtfertigen; schließlich hat sich auch der Verlag Lindenstruth bekanntermaßen auf phantastische Literatur spezialisiert. Doch haben Bloch und Lindenstruth – wie bereits erwähnt – mit ihrer Bibliographie wahre Pionierarbeit geleistet: Indem sie eine vergessene Unterhaltungszeitschrift aus den Zwanziger Jahren bibliographisch seziert haben, wurde ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur Geschichte der deutschen (Unterhaltungs-)Literatur der Zwischenkriegszeit geleistet und ein weißer Fleck auf der Landkarte des Zeitschriftenwesens in der Weimarer Republik ausgefüllt. Dass eine solche Pioniertat in ihrer Kommentierung dann ein bestimmtes Genre bevorzugt und andere Texte links liegen lässt, schmerzt doch umso mehr, als sich die Bibliographie nicht nur benutzerfreundlich und kompetent präsentiert, sondern auch das Herzblut sichtbar ist, das Bloch und Lindenstruth in diese kleine geheftete Broschur gesteckt haben.

Dennoch wäre es vermessen zu behaupten, die vorliegende Bibliographie sei ein halbgares Produkt oberflächlicher Recherchen, über dessen Erwerb man lieber zweimal nachdenken sollte. Was Robert N. Bloch und Gerhard Lindenstruth mit ihrer kleinen Broschur vorlegen, ist ein wichtiges und hilfreiches Steinchen im Mosaik sowohl der Phantastikforschung wie auch der (Trivial-)Literaturgeschichte, welches Literaturwissenschaftler wie Sammler gewiss zu schätzen wissen werden. Sollten Bloch und Lindenstruth in näherer Zukunft eine Neuauflage ins Auge fassen, so wäre eine Überarbeitung gerade im Hinblick auf die Kommentierung jedoch wünschenswert.

Übrigens: Robert N. Bloch hat im Zuge der Recherchen für die vorliegende Bibliographie eine Auswahl der besten unheimlichen Erzählungen aus "Meine Zeitung" zusammengestellt, die er nun in der Anthologie "Die Feuersonate und andere seltsame Geschichten aus ›Meine Zeitung‹" vorlegt hat. Die Sammlung kann wahlweise als Glanzbroschur oder als gebundene Vorzugsausgabe mit Schutzumschlag erworben werden. Nähere Informationen auf der Homepage des Verlags Lindenstruth!

Michael Höfel



Softcover | Erschienen: 16. Dezember 2010 | ISBN: 9783934273856 | Preis: 12,00 Euro | 69 Seiten | Sprache: Deutsch

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