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In ihrem neusten ins Deutsche übersetzte Buch, "Wolkentöchter", setzt sich Xinran wie auch in ihren anderen Büchern mit chinesischen Frauen auseinander, hier allerdings mit einer ganz eigenen Problematik: Es richtet sich primär an chinesischstämmige Mädchen, die von Ausländern adoptiert wurden; die Autorin versucht anhand etlicher Fallbeispiele und ausführlicher Recherche hinsichtlich der kulturellen und wirtschaftlichen Hintergründe zu erläutern, wie es dazu kam und auch heute noch kommt, dass chinesische Mütter ihre weiblichen Säuglinge aussetzen oder zur Adoption freigeben – wenn diese Glück haben und nicht direkt nach der Geburt getötet werden.
Xinran lässt betroffene Mütter erzählen, von deren Familien speziell angesichts der Ein-Kind-Politik erwartet wurde, dass sie ihre Töchter loswerden, damit sie hoffentlich irgendwann einen Sohn gebären können, und berichtet von eigenen Erfahrungen in Waisenhäusern.
Im Anhang findet man neben etlichen Briefen von ausländischen Adoptivmüttern an die Autorin unter anderem das chinesische Adoptionsgesetz, sowie einen kurzen Text, der sich mit dem, gemessen am weltweiten Durchschnitt, überproportional häufigen Suizid chinesischer Frauen befasst.
Wie schon erwähnt, richtet sich das Buch zunächst an chinesische Mädchen und ihre ausländischen Adoptivmütter; es soll ihnen nahebringen, warum viele chinesische Mütter ihre Töchter nicht behalten.
Was aber bietet das Buch der deutschsprachigen Leserin, sofern sie keine kleine Chinesin adoptiert hat?
Xinran gelingt es, Frauen auf der ganzen Welt zu berühren, weil sie die weibliche Gefühlswelt, insbesondere jene der Mütter, so authentisch, so intensiv, so packend abbildet. Jene Szene im Buch, in der sie beschreibt, wie sie hilflos die Tötung eines weiblichen Neugeborenen miterleben musste, wird keine Leserin leicht verdrängen können, ebenso wie jene Episode, in der es um einen verwaisten weiblichen Säugling geht, den Xinran gern adoptiert hätte, was ihr jedoch nicht gestattet wurde, weil sie bereits einen Sohn hatte. Sie versuchte, wenigstens das Waisenhaus, in dem das Kind schließlich untergebracht wurde, zu unterstützen – und plötzlich wurde es von einem Tag zum anderen aufgelöst, das kleine Mädchen war unauffindbar. Nicht minder dramatisch wirken die Interviews mit oder Erzählungen von Müttern, die sich dem Zwang beugten und ihre winzigen Töchter verstießen oder töteten. Bis hin zu Selbstmordversuchen reicht hier die Palette der Reaktionen auf ein unheilbares Trauma, und Xinran, die mit diesen Müttern gesprochen hat, weiß aufzuzeigen, dass es sich dabei nicht einfach um willkürlich herausgepickte Fälle handelt: Viele chinesische Frauen tragen unendliches Leid mit sich herum. Manchmal sind auch die Väter involviert. Hierzu gibt es ebenfalls eine zutiefst anrührende Geschichte von einem Paar, das jahrelang durch das Land pendelte und – erzwungenermaßen und darunter leidend - die kleinen Töchter, die nacheinander zur Welt kamen, an Bahnhöfen aussetzte, um vielleicht doch einmal den erwarteten Sohn zu erhalten – und zu behalten.
Dieses Buch rührt an und rüttelt auf. Xinran appelliert nicht einfach an die Verantwortlichen, Menschenrechte zu wahren, sie spricht jede einzelne Frau zutiefst an und sicher auch Männer, die väterliche Instinkte hegen. Eine erschütternde Dokumentation!
Verlagsseite zum Buch mit Leseprobe
Die Verfasserin dieser Rezension hat 2010 ein
Interview mit der Autorin geführt.