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 Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert


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Die Geschichte Jugoslawiens erscheint in der Gegenwart vor allem vor dem Hintergrund der letzten zwanzig Jahre. Krieg und Zerfall scheinen den Staat Jugoslawien zu charakterisieren. Doch die Geschichte dieses Vielvölkerstaats reicht über ein Jahrhundert zurück und ist in ihren wechselhaften Phasen sicher eine der interessantesten Europas.

Die Geschichtsprofessorin Marie-Janine Calic hat sich daran gemacht als erste deutschsprachige Autorin nach langer Zeit eine Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert zu schreiben. Auf 415 Seiten hat sie die Geschichte dieses Staates von seinen Anfängen im 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart zusammengefasst. Sie beginnt mit den ersten panslawischen Bewegungen in der Zeit des Imperialismus, die Unabhängigkeitsbewegungen, die sich auf dem Balkan gegen die österreichisch-ungarische und die osmanische Herrschaft auflehnten und sich vor und während des ersten Weltkrieges schließlich durchsetzten. Sie schreibt die Geschichte des ersten Jugoslawiens, das schließlich von den Achsenmächten besetzt und zerschlagen wurde und in die Gründung des zweiten jugoslawischen Staates unter Tito mündete. Es folgten eine Zeit relativer Stabilität, in der der Staat von Wirtschaftswachstum, außenpolitischen Erfolgen und der Autorität Titos zusammengehalten wurde, und schließlich die Phasen der Desintegration und des Zerfalls ab den 1980er Jahren.

Die Autorin legt den Schwerpunkt auf die politische und ökonomische Entwicklung des Landes und seiner Teile, aber schreibt für jede Phase auch über kulturelle und gesellschaftliche Entwicklungen. Auch berücksichtigt sie stets die internationalen Verhältnisse des 20. Jahrhunderts.
Der rote Faden des Werkes ist vor allem das Spannungsverhältnis zwischen den einzelnen Nationalismen auf der einen Seite und der panslawischen Idee Jugoslawiens auf der anderen Seite. Argumente, Motivationen und Ziele änderten sich je nach historischer Situation auf allen Seiten während dieses Spannungsverhältnis mal zu-, mal abnahm.

Das Buch schließt mit einem knapp 70-seitigen Anhang, der eine Chronologie, eine Organisationsübersicht sowie einige Tabellen, ein Personenregister und sechs Karten enthält. Außerdem gibt es einen großen Anmerkungsteil und ein längeres Literaturverzeichnis.

Marie-Janine Calics Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert ist eine umfassende und aktuelle Einführung in die Geschichte des zerfallenen Balkanstaates. Ihr Fokus liegt klar auf der politischen und wirtschaftlichen Geschichte, bezieht aber viele kulturelle und gesellschaftliche sowie die weltweiten Entwicklungen im 20. Jahrhundert kontinuierlich mit ein.
Der Autorin gelingt es dabei überzeugend, eine Geschichte mit möglichen Alternativen zu schreiben. An keiner Stelle glaubt sie an Automatismen. Es haben Menschen gehandelt, die auch hätten anders handeln können, das gilt sowohl für die Gründungsphasen als insbesondere auch für die Phase des Zerfalls und der Separationskriege in den 1990er Jahren.

Das Buch ist mit einer großen Kenntnis und einem guten Konzept geschrieben. Anschaulich werden die Problemlagen des Vielvölkerstaates beschrieben, der in Krisenphasen Acht geben musste, die vielen Interessenlagen einer ethnisch und kulturell heterogenen und sozioökonomisch disparaten Gesellschaft zu befriedigen. Insbesondere die Zeit unter Tito, der zwischen den Blöcken agieren musste und eine eigene Mischform zwischen Sozialismus und Marktwirtschaft fand, ist sehr interessant geschrieben.
Stilistisch ist der Text gelungen, auch wenn häufig verzichtbare Redundanzen zu finden sind. Hin und wieder springt der Text zugunsten einer systematischen Beschreibung zwischen mehreren Daten hin und her, was an manchen Stellen etwas verwirrt beim erstmaligen Lesen. Außerdem sind die Abschnitte, die sich mit den Jahren der Auflösung zwischen 1985 und 1991 beschäftigen, etwas kurz geraten. Dem Verständnis dieser Jahre hätte eine etwas ausführlichere Darstellung, welche Kräfte zu welchem Zeitpunkt welche Strategie verfolgt haben, geholfen.

Das sind aber Kleinigkeiten. Die Einführung ist gelungen und bietet ein hervorragendes erstes Verständnis für die Geschichte Jugoslawiens. Für Studenten und historische Interessierte, die sich mit dem Balkan beschäftigen wollen, dürfte dieser Text eine Pflichtlektüre sein.

Der Verlag bietet eine Leseprobe auf seiner Website an.

Andreas Schmidt



Taschenbuch, | Erschienen: 17. September 2011 | ISBN: 978-3406606465 | Preis: 26,95 Euro | 415 Seiten | Sprache: Deutsch

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