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Die Sandman-Reihe hat sowohl bei Comic-Fans, als auch bei solchen von Neil Gaiman seit Jahren einen gewissen Kultstatus. Ursprünglich als übliche Comic-Hefte auf dem Markt, sind nun auch Sammelbände erhältlich. Dies ist auch deshalb sinnvoll und erfreulich, weil die Sandman-Bände dazu neigen, ausverkauft zu sein.
Der vorliegende Sammelband enthält die ursprünglichen Hefte 51 bis 56. Tatsächlich jedoch liegen die darin enthaltenen Einzelgeschichten mit dem 158-seitigen Sammelband in der Form vor, in der sie ursprünglich auch gedacht waren.
Brant Tucker ist mit seiner Arbeitskollegin Charlene auf dem Weg von Seattle nach Chicago, als sie plötzlich - mitten im Sommer - in einen Schneesturm geraten. Brant setzt den Wagen vor einen Baum und macht sich nach dem ersten Schock auf den Rückweg zur Straße. Doch statt der Straße findet er ein Gasthaus, in dem er freundlich aufgenommen wird, auch wenn Brant verunsichert ist von den teils seltsam anmutenden Gestalten im Gasthaus. Es herrscht eine vertrauliche Atmosphäre, man kümmert sich sogleich um Charlenes Verletzungen und vertreibt sich die Zeit während des Sturms damit, Geschichten zu erzählen.
Die erste Geschichte erzählt ein Mister Gaheris, und er nennt diese Erzählung
"Eine Geschichte aus zwei Städten". Er nennt sie so, weil die Hauptfigur der Handlung, ein Städter durch und durch, seinen Weg verliert, schließlich zur Stadt zurückfindet, sie jedoch nicht wiedererkennt. Es scheint nicht dieselbe Stadt zu sein, bis der Protagonist erkennt, dass es durchaus seine Stadt ist - während sie schläft ...
Nach dieser Geschichte, gezeichnet in eckigem und stark skizzenhaftem Charakter, ist es der Elf Cluracan, der seine Geschichte zum Besten geben will.
In "
Cluracans Geschichte" berichtet er von seinem Leben im Dienste der Königin, kommt jedoch rasch auf die abenteuerliche Geschichte zu sprechen, die er in der Stadt Aurelia erlebte. Als Bote von seiner Königin dorthin geschickt, um eine Allianz zu verhindern, entdeckt er die Machenschaften des Herrschers, der sich nicht nur zugleich zum weltlichen wie geistigen Herrscher erhoben hat, sondern dessen Gier auch keine Grenzen kennt. Als Cluracan ihm - unwillentlich; die Prophezeiung sprudelt förmlich aus ihm heraus - verkündet, dass er fallen werde, die Toten sich zur Rache erheben und selbst die Geschichtsschreibung ihn vergessen würde, wirft man Cluracan in den Kerker. Doch er könnte diese Geschichte im Gasthaus am Ende der Welt nicht erzählen, wenn nicht alles doch noch einen guten Ausgang genommen hätte ...
Der Schiffsjunge Jim hat lang darauf gewartet, seine Geschichte, die von
"Hobs Leviathan", je erzählen zu können und nimmt die Gelegenheit nun als Nächster im Gasthaus wahr. Von Geburt an berichtet er den anderen von seinem noch jungen Leben und einem großen Geheimnis: Jim hat einen leibhaftigen Leviathan gesehen. Doch so groß dieses Seemannsgarn auch zu sein scheint, so hat Jim doch noch ein viel größeres Geheimnis zu verraten ...
Der Sucher, dem Brant nach einem kurzen Schlaf im Gastzimmer begegnet, erzählt ihm die Geschichte des
"Goldjungen". Ein begnadeter Junge, der Präsident wird und die Welt verändert, nach dessen Ableben ihm jedoch noch viele andere Amerikas, parallele Welten also, offenstehen.
Wieder bei den anderen, kommt Brant gerade rechtzeitig, um auch die Geschichte des Petrefax, Lehrling eines Meisterleichenbestatters, mitzubekommen. Er berichtet von seiner Ausbildung und dem erinnerungswürdigen Beiwohnen einer Luftbestattung in seiner Heimatnekropole.
Noch viele weitere Geschichten warten darauf, im Gasthaus erzählt zu werden, doch dann werden die Besucher Zeuge einer seltsamen Leichenprozession am Himmel. Riesige Gestalten wandeln mitten durch den Himmel, und als die Prozession vorüber gezogen ist, hat sich auch der Realitätssturm gelegt, vor dem sie alle Zuflucht im Gasthaus suchten, ohne auch nur zu wissen, was ein Realitätssturm ist. Der Ausflug in das Gasthaus am Ende der Welt endet - und die Welten warten darauf, dass neue Geschichten in ihnen erlebt werden.
Wie der Beschreibung schon zu entnehmen ist, verbindet dieser Band verschiedene Geschichten, die nur eines gemeinsam haben: Sie werden im Gasthaus am Ende der Welt erzählt. Zuhörer wie auch Erzähler könnten nicht unterschiedlicher sein: Menschen aus völlig verschiedenen Zeiten befinden sich zeitgleich im Gasthaus und teilen diesen Aufenthalt auch mit Elfen, Zentauren und anderen Gestalten.
Doch selbst diese verblüffende Zusammensetzung der Geschichten ist es noch nicht, die den Reiz dieses Comics ausmacht. In vielen Geschichten stecken wiederum Geschichten - so findet die Geschichte von Petrefax etwa ihren Platz in den Geschichten, die im Gasthaus erzählt werden, doch berichtet er darin auch von den ihm von anderen erzählten Geschichten, die wiederum von Geschichten handeln, die diesen erzählt wurden. Und als wäre das noch nicht genug, bleibt zu bedenken, dass die Leser des Comics im Grunde nur einen Bruchteil, eben Band 51 bis 56, einer Geschichte lesen, die Neil Gaiman wiederum in Comicform zu erzählen weiß. Kurzum: Grandios!
Neben den Coverabbildungen der Sandman-Hefte beinhaltet das Softcover-Buch auch diverse Kommentare von Neil Gaiman und Illustrator Dave McKean dazu. Ein volles Dutzend Zeichner war an der Realisierung der Comics in diesem Band beteiligt, und zu guter letzt ist es Stephen King, der das Ganze mit einem mehrseitigen Vorwort versehen hat.
Insgesamt ein sehr stilvolles Buch, das es mehr als wert ist, gelesen zu werden. In der deutschen Ausgabe fehlt die Erwähnung, dass es sich um einen Comic für Erwachsene handelt, doch da es eher der Stil und der Anspruch des Comics statt blutigen Metzelszenen sind, die dazu primär veranlasst haben, ist dieses Fehlen vernachlässigbar.
Ob man die Reihe bereits kennt oder noch nie von ihr gehört hat: Dieser Band lohnt für Fans wie Neueinsteiger und vermag - ab einem gewissen Mindestalter - jüngere wie ältere Leser gleichermaßen zu fesseln.