Bereits seit 1994 lässt Dennis Lehane, Autor so bekannter Werke wie "Mystic River" und "Shutter Island", die beiden Bostoner Privatermittler Patrick Kenzie und Angela Gennaro spannende und teils spektakuläre Fälle lösen; 2010 wurde die Reihe mit dem Band "Moonlight Mile" beendet. "In tiefer Trauer" ist der dritte Roman der erfolgreichen Thriller-Reihe. Erstmals wurde er 1999 auf Deutsch veröffentlicht; 2012 erschien wieder einmal eine Neuauflage in Taschenbuchform.
Kenzie und Gennaro - wie immer ist die Handlung aus der Sicht Kenzies erzählt - werden auf sehr unkonventionelle Weise für einen neuen Fall angeworben: Der schwerreiche Unternehmer Trevor Stone lässt die beiden kurzerhand entführen, um sie zur Übernahme eines Auftrags zu "überreden". Stones Tochter Desirée ist verschwunden, der Vater ist untröstlich. Die junge, extrem attraktive Frau befand sich zuletzt in einem Zustand der Depression und tiefen Niedergeschlagenheit - erst vor kurzem kam ihre Mutter bei einem schrecklichen Überfall ums Leben, bei dem auch ihr Vater schwer verletzt wurde. Auch Desirées Freund starb erst vor wenigen Wochen. Nun aber ist Desirée Stone wie vom Erdboden verschluckt, und nicht nur sie: Auch der Privatermittler Jay Becker, den Trevor Stone zunächst auf den Fall angesetzt hatte, ist seit drei Wochen verschollen. Während ihrer Ermittlungen müssen Kenzie und Gennaro feststellen, dass nicht alles ist, wie es scheint, und dass der Fall weitaus komplexer ist als zunächst angenommen...

"In tiefer Trauer" ist ein Thriller, der eine starke Ausgangsidee hat - die verschwundene Desirée Stone ist offenbar in die Fänge einer Sekte geraten, die sich auf trauernde Menschen spezialisiert hat und deren emotionalen Ausnahmezustand ausnutzt, um sich in ihr Leben und vor allem ihr Vermögen einzuschleichen. Bald wird dem Leser ebenso wie dem toughen Ermittler-Duo Kenzie und Gennaro klar, dass es eigentlich um etwas anderes geht und nicht alle Personen die Wahrheit sagen, oder, besser gesagt: Hier lügt fast jeder, dass sich die Balken biegen.
Der Roman flacht im Mittelteil etwas ab und verliert dabei einiges an Spannung - zwar halten Witz und Sarkasmus von Patrick Kenzie den Leser bei der Stange, aber insgesamt laufen die Ermittlungen ein wenig schleppend. Von Boston geht es nach Florida, danach wieder zurück nach Boston. Doch gegen Ende dreht Lehane nochmal voll auf, lässt eine überraschende Wendung nach der anderen folgen und den Roman schließlich in einem dramatischen, sehr spannenden und auch brutalen Finale enden.
Den zumeist flapsigen Ton der beiden Privatdetektive, die sich auch im Angesicht des Todes kein Witzchen verkneifen können, vermischt der Autor gekonnt mit den Nachwirkungen der Ereignisse aus dem Vorgängerband "Absender unbekannt", die vor allem Angela übel mitgespielt und ihr Leben für immer verändert haben. Neben spannenden Ermittlungen gibt es daher auch eine ordentliche Portion Trauer und Schmerz, die die beiden Hauptfiguren gemeinsam bewältigen müssen. Hier beweist der Autor Feinfühligkeit und lässt bei aller Schnodderigkeit und Coolness seines Ich-Erzählers tiefgehende Gefühle einfließen.
Im direkten Vergleich mit dem spektakulären "Absender unbekannt" schneidet "In tiefer Trauer" zwar einen Tick schlechter ab, dennoch ist es ein packender Thriller, dessen vielschichtiger Plot weit mehr zu bieten hat als bloß die Ermittlung in einem Vermisstenfall - doch etwas anderes hätte man von Dennis Lehane ja auch nicht erwartet!