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Als Martha Degele kurz vor ihrem neunzigsten Geburtstag stirbt, hinterlässt sie eine vielköpfige und weitverzweigte Familie. Zusammen mit ihrem bereits fünf Jahre zuvor verstorbenen Mann Johann hat sie drei Söhne großgezogen, den bodenständigen Paul und die charakterlich scheinbar grundverschiedenen Zwillinge Richard und Thomas. Alle drei Männer haben mittlerweile ihre eigenen Familien mit Kindern und auch Enkelkinder sind hier und dort schon vorhanden.
Auf dem Sterbebett bittet Martha ihre Schwiegertochter Vera, die Frau von Paul, um einen letzten Gefallen. Vera soll die Familie nach Marthas Tod zusammenhalten und sich um sie kümmern, so wie sie selbst es all die Jahre hindurch erfolgreich getan hat. Und dann ist da noch etwas, das sie Vera anvertraut: Über Jahrzehnte hinweg hat Martha Aufzeichnungen über kleinere und größere Familienereignisse angefertigt. Diese Notizen befinden sich sicher verschlossen in einer Truhe auf dem Speicher des weiträumigen Gutshauses, dem Familiensitz der Degeles in Oberbayern. Vera möge diese Chronik nach Marthas Ableben sichten und auf Wunsch auch gerne weiterführen.
Als Vera dieser letzten Bitte Marthas nachkommt, entdeckt sie in den tagebuchähnlichen Einträgen einiges, das sie über ihre Familie noch nicht gewusst hat. Sind der künstlerisch veranlagte Thomas, der immer alles so locker nimmt und der sich einen Teil des Geistes der Sechzigerjahre noch bewahrt hat, und der ernsthafte und strebsame Richard wirklich so unterschiedlich in ihrem Wesen? Was hat es mit der so verschlossenen Schwiegertochter Annalena auf sich?
Während verschiedener Zusammenkünfte nach Marthas Beerdigung, bei denen sich die gesamte Familie einfindet, werden die interessanten Dachbodenfunde intensiv besprochen. Auf diese Weise gelingt es Martha tatsächlich, selbst über ihren Tod hinweg, ihre geliebte Familie zusammenzuhalten und das Verständnis füreinander trotz aller Unterschiedlichkeiten zu fördern.
Um die weitläufigen Verwandtschaftsverhältnisse der verstorbenen Martha D. anfangs entwirren zu können, schadet es keineswegs, sich einen imaginären Familienstammbaum vorzustellen. Ist dies jedoch einmal geklärt, wird der Leser in eine flüssig geschriebene Erzählung geführt, die so manche Überraschung bereithält.
Monika Wunderlichs Roman ist ein Loblied auf die Familie und ein Appell daran, Toleranz zu üben, besonders gegenüber scheinbar aus der Art geschlagenen Familienmitgliedern. Die Erzählung kommt ohne einen besonders ausgefeilten Spannungsbogen aus. Es gibt zwar Familiengeheimnisse, diese jedoch werden ohne voyeuristische Züge oder geschmacklose Sensationslust erzählt. Gerade durch diese unaufgeregte Wahl der Vermittlung rückt die Erzählung viel näher an den Erlebnishorizont des Lesers heran. Denn wohl jeder kennt die Vorzüge, aber auch die nervigen Seiten dessen, was Familie mit sich bringt. Monika Wunderlich interpretiert das System "Familie" in ihrem Roman sowohl als eine Instanz, die Liebe und Geborgenheit zu geben vermag, als auch als ein Gefüge, unter dessen Deckmantel sich unausgesprochene seelische sowie physische Misshandlungen verbergen können.
Über die namensgebende Figur des Romans erfährt der Leser einiges, und das, obwohl Martha zu Beginn des Romans bereits nicht mehr lebt und nur in Rückblenden auftritt. Sie ist die gute Seele der Familie, diejenige, die mit ihrer vorurteilslosen Art und ihrem ausgeprägten Sinn fürs Praktische alle zusammenhält. Durch die von ihr aufgeschriebenen Familienerinnerungen ist sie, obgleich nur durch ihre literarische Stimme anwesend, dem Leser genauso präsent und greifbar wie die übrigen, noch lebenden Mitglieder der Familie Degele.
Die knapp 150 Seiten umfassende Erzählung der Autorin Monika Wunderlich, die im Sieben Verlag erschienen ist, ist eine interessante Familiengeschichte, die den Leser auf eine Reise in das Sozialgefüge einer ihm fremden Familie einlädt. Der Schreibstil und die Sprache des Romans sind ansprechend und passen gut zu der Geschichte. Einzig der Klappentext erscheint als etwas irreführend, da er mit Formulierungen wie "Kühl ist es in der Aussegnungshalle" oder "Fröstelnd schaue ich mich um" möglicherweise andere Leseerwartungen weckt, die eher in Richtung Thriller- wenn nicht sogar Horrorgenre tendieren, als dass sie eine Familiengeschichte einleiten. Auch wünscht man sich an manchen Stellen eine noch tiefere Einsicht in das Innenleben der einzelnen Charaktere, aber das bliebe Monika Wunderlich, die neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit auch Inhaberin des VirPriV Verlages ist, ja noch für einen möglichen zweiten Teil der Familienchronik, der erzählen könnte, wie es mit der Familie Degele weitergeht.
Eine Leseprobe ist auf der Homepage des Sieben Verlags (
http://www.sieben-verlag.de) erhältlich.