Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Bildqualität | |
Brutalität | |
Gefühl | |
Humor | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Spannung | |
Auvers 1880. Die Mutter von Chimaira stirbt. Harte Zeiten brechen für die Sechsjährige an, muss sie doch forthin wie ein Knecht für Kost und Logis bei den Montpessus arbeiten. Aber das wirkliche Grauen bricht erst 1887 über das hübsche Mädchen herein. Ihre Pflegeeltern verschachern sie an Madame Giselle, die unumschränkte Herrscherin des berühmtesten und luxuriösesten Bordells von Paris. Und obwohl sie wie eine Ware versteigert und noch am selben Abend brutal vergewaltigt wird, lässt sich die dreizehnjährige Chimaira nicht unterkriegen. Sie freundet sich mit einigen der Huren an und plant innerhalb von vier Jahren die Summe, die Madame Giselle für sie ausgeben musste, abzuzahlen.
Doch das freche und selbstbewusste Mädchen schafft sich ebenso Feinde unter ihren Leidensgenossinnen. Allzu beliebt ist die Kindfrau unter den Freiern und auch Madame Giselle sieht in ihrem selbstbewussten Auftreten ihre Souveränität untergraben. Sie wartet nur auf eine Gelegenheit, das Mädchen zu demütigen.
Eingebettet in historische Ereignisse wie den Bau des Eiffelturms und des Panama-Kanals, lassen Arleston und Melanÿn sowie Illustrator Vincent die ersten Schritte eines dreizehnjährigen Mädchens Revue passieren. Schritte, die sie von der Knechtschaft der Pflegeeltern in ein Bordell führen.
Dabei richtet sich der Fokus der Erzählung zunächst auf einige wenige Szenen. Wie in einem bruchstückhaft erzählten Tagebuch führen sie den Verlust der Mutter, den Verkauf in ein Bordell und ihre Versteigerung vor. Ihre erste Vergewaltigung und einige wenige Tage im Bordell lassen keinen Handlungsfaden erkennen. Auch der Bau des Panama-Kanals wird zur Nebensache, auch wenn die Personen für zukünftige Alben geografisch nahe an das Mädchen heranrücken – zunächst jedoch ohne direkten Kontakt oder etwaige Auswirkungen.
Damit bleibt die historische Einbettung mangelhaft. Außer Spesen – sprich Kostümen und Interieur – scheint alles beliebig. So könnte und wird es auch heute noch in einem Freudenhaus dieser Kategorie zugehen.
Und während einige der Huren dem Leser fast ans Herz wachsen, gelingt die Charakterstudie Chimairas überhaupt nicht. Ihre Gedanken, Gefühle und Handlungsweisen sind unergründlich und lassen weder Sympathie noch Anteilnahme beim Leser zu.
Auch nach dem kleinen, gelungenen Cliffhanger am Ende des ersten Albums kann das Szenario von Arleston und Melanÿn nicht überzeugen. Zu wenig Inhalt, zu wenig Zusammenhang, zu wenig wirkliche Gefühle. Alles wirkt seltsam starr und ohne Schwung.
Doch ein Desaster ist der erste Band beileibe nicht. Dafür sorgen die unruhigen, fast fahrigen Illustrationen von Vincent. Sie lassen das Elend der Huren sichtbar werden und zeigen in den Fratzen der Männer deren Gier nach Sex, Erniedrigung und Unterwerfung. Ihm gelingt es trotz des harten Themas und der ungeschönten Darstellung der Zustände Voyeurismus zu vermeiden. Männer bleiben angezogen, Frauen zeigen einzig ihre nackte Brust. Doch was zwischen den Zeilen steht und in der Vorstellung erzeugt wird, ist nichts für schwache Nerven und eindeutig nicht jugendfrei!
Vertieft wird die dekadente Stimmung, die Vincent perfekt erzeugt, durch die elegante, kräftige Farbgebung Pierots. Auch die hohe Druckqualität, das große Albumformat und der feste Karton machen viel her und stehen dem Band gut zu Gesicht.
Die Übersetzung des Titels scheint auf den ersten Blick wenig überzeugend, bedeutet doch chimère(s) eine Mischung aus Traum, Hirngespinst, Täuschung und Zwitterwesen (Chimäre). Da scheint Chimaira zunächst eher allein ein Name zu sein, der dazu auch noch nicht mal gebräuchlich ist. Nur wer etymologisch bewandert ist oder es nachschlägt, entdeckt, dass Chimaira ebenso Chimäre bedeutet und mithin einige der Bedeutungen des französischen Originaltitels zu vermitteln vermag.
Wer sich von der Kraft und Eleganz der Bilder überzeugen will, sollte
hier nachschlagen oder die ebenso interessante Seite der Originalausgabe
anklicken.